Der Robin Hood der Arbeitslosen

Im Interesse seiner Mandanten überschüttet Anwalt Lange das Sozialgericht Cottbus mit Klagen

Während seines Studium an der Universität Potsdam hatte Rechtsanwalt Thomas Lange keinerlei Ambitionen, sich später mit dem Sozialrecht zu beschäftigen. Er interessierte sich für das Strafrecht. Doch als er seine Kanzlei in Großräschen übernahm, kam alles anders. Jetzt gilt Thomas Lange als Robin Hood, der den Jobcentern in Südbrandenburg im großen Stil Geld abjagt und es an die Langzeitarbeitslosen verteilt.

Der Vergleich hinkt natürlich und Lange sieht sich auch nicht als der Rächer vom Sherwood, sondern weiterhin als Rechtsanwalt. Tatsache ist jedoch: Er hat im vergangenen Jahr quasi im Alleingang dafür gesorgt, dass die Zahl der eingehenden Fälle am Sozialgericht Cottbus von 7700 auf 9300 gestiegen ist. Dagegen hatten die anderen brandenburgischen Sozialgerichte einen Rückgang zu verzeichnen. In Neuruppin betrug das Minus 1,8 Prozent, in Frankfurt (Oder) 4,7 Prozent und in Potsdam sogar 9,8 Prozent.

Volksbegehren im Wortlaut

● In Brandenburg gibt es aktuell 147 233 registrierte Arbeitslose, davon sind 55 285 ein Jahr und länger ohne Job.
● Von Hartz IV betroffen sind jedoch nicht nur viele Langzeitarbeitslose, sondern in vielen Fällen auch Ehepartner, Lebensgefährten und ihre Kinder sowie Berufstätige, die so wenig Lohn erhalten, dass sie zusätzlich Sozialleistungen benötigen.
● Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften liegt in Brandenburg bei 150 494.
● Gegen Anwalt Lange laufen nach eigenem Bekunden Verfahren wegen angeblicher Urkundenfälschung und übler Nachrede, und weil er Honorar verlangt haben soll, dass ihm nicht zugestanden habe. Er sieht in den Vorwürfen Versuche, ihn mundtot zu machen.

Verantwortlich für die Lage in Cottbus sei ein einzelner rühriger Anwalt, der tausende Klagen eingereicht habe, erklärte Monika Paulat, Präsidentin des Landessozialgerichts am Jahresanfang. Den Namen verriet sie nicht. Aber der bewusste Anwalt ist Thomas Lange.

Als 33-Jähriger hatte er 2003 ein Jurastudium begonnen und es 2007 abgeschlossen. Damals ging er davon aus, ein Wald- und Wiesenanwalt ohne Spezialisierung zu werden. Die Karriere als streitbarer Hartz-IV-Anwalt begann mit einem Zufall. Ein Mandant hatte von seinem Vermieter eine Betriebskostenabrechnung erhalten und sollte 125 Euro nachzahlen, erinnert sich Lange. Mit einer nicht nachvollziehbaren Methode hatte das Jobcenter dem Mandanten jedoch vorgerechnet, dass er dem Vermieter zwar die 125 Euro geben müsse, gleichzeitig aber dem Jobcenter 85 Euro zu erstatten habe.

»Derartige Zahlenakrobatik wendet das hiesige Jobcenter immer wieder an«, beschwert sich der Rechtsanwalt. Zunächst hatte er noch geglaubt, dass es sich um einen Einzelfall handelt. »Nach zwei Jahren musste ich aber feststellen, dass ich mich geirrt hatte. Verachtender Umgang mit den Betroffenen, hochgradig inkompetente Mitarbeiter, rechtswidrige Dienstanweisungen und eine Arbeitsweise, die mit rechtsstaatlichem Verwaltungshandeln nichts mehr zu tun hat, haben offenbar bei den Jobcentern System.«

Wer jahrelang behördlicher Willkür ausgesetzt sei, entwickele Selbstzweifel und werde psychisch krank, findet Lange. Er fordert die Betroffenen auf: »Lassen Sie sich nicht kaputt spielen. Wenn Sie sich vom Jobcenter betrogen fühlen, können Sie fast sicher sein, dass Sie auch betrogen werden.« 80 Prozent aller Bescheide seien falsch. Die Leute sollen sich wehren und seine Kanzlei anrufen.

Zunächst sprach sich Thomas Langes Name durch Mundpropaganda unter den Klienten der Jobcenter herum. Nachdem er seine Erfahrungen in einem kostenlos verteilten Wochenblatt schilderte, konnte er sich vor Anfragen kaum noch retten. Die Kanzlei in Großräschen wurde zu klein, so dass Lange eine Filiale in Lübbenau eröffnete.

Rechtsanwalt Lange betreibe eine »aggressive Werbung«, bei der die Arbeit im Jobcenter diffamiert werde, beklagt sich Hans-Jörg Milinski. Er ist stellvertretender Geschäftsführer des Jobcenters Oberspreewald-Lausitz und betont, dass seine Untergebenen »in den meisten Fällen« korrekte Bescheide erstellen. Es sei nicht auszuschließen, dass auch fehlerhafte Bescheide ergehen, räumt Miliniski ein. Verantwortlich dafür macht er beispielsweise die unklare Rechtslage. Auch komme es vor, das wichtige Unterlagen zu spät eingereicht werden. Das Jobcenter Oberspreewald-Lausitz setze aber alles daran, die Zahl der Fehler zu verringern, unter anderem durch Schulung der Mitarbeiter und Auswertung von Fehlentscheidungen.

Der Geschäftsführer wirft dem Rechtsanwalt vor, das Jobcenter mit Widersprüchen zu überschütten, so dass dieses dann nicht mehr in der Lage sei, die Widersprüche in der gesetzlichen Frist von drei Monaten abzuarbeiten. Dann erhebe Lange eine Untätigkeitsklage und gewinne sie, erzählt Milinski.

Im Kollegenkreis ist der Anwalt wegen seiner Vorgehensweise umstritten. Dass er wegen seiner vielen Mandanten beneidet wird, vermag er sich allerdings nur schwer vorzustellen. Das wäre unbegründet, sagt er. Wer sich mit Hartz IV beschäftigen wolle, habe als Rechtsanwalt in den nächsten Jahren genug zu tun, denkt Lange. Viele Kollegen möchten dies aber nicht. Lange kennt sogar Juristen, die lieber selbst Sozialleistungen beziehen, als sich der schwierigen und wenig lukrativen Materie zuzuwenden.

Mit den meisten Hartz-IV-Klagen verdient die Kanzlei in Großräschen gegenwärtig 57,12 Euro brutto. »Dafür würden andere Rechtsanwälte wohl kaum arbeiten«, sagt der Chef. Nur schätzungsweise fünf Prozent des Umsatzes mache die Kanzlei über die Prozesskostenhilfe. Er beantrage aber kaum noch Prozesskostenhilfe, weil wenig Aussicht bestehe, dass sie gewährt wird.

90 Prozent seiner Anwaltstätigkeit ist Thomas Lange mit dem Komplex Hartz IV beschäftigt. Eigentlich sei er schon seit Jahren ausgebucht, berichtet er. Doch wenn neue Mandanten mit ihren Problemen zu ihm kommen, möchte er sie auch nicht wegschicken. Zwei Gehilfen beschäftigt er und in Teilzeit einen Informatiker, seit einigen Monaten auch noch eine Juristin. Arbeit hätte er für vier Juristen. Doch es komme durch die Verfahren nicht genug Geld herein, um mehr Mitarbeiter bezahlen zu können, bedauert er.

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