Am Anfang standen die Naziverbrechen

Zwei Jahrzehnte Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Die KZ-Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen haben für das Ansehen Deutschlands im Ausland eine große Bedeutung. Beim 20. Geburtstag der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten- war ihrem Direktor Günter Morsch dieser Gedanke wichtig. Seit Gründung 1993 seien 55 Millionen Euro in Aufbau und Instandhaltung geflossen. 8,6 Millionen Besucher konnten begrüßt werden. »Kein einziges der 70 Sanierungsprojekte ist gescheitert«, sagte er kürzlich bei einer Festveranstaltung in der Potsdamer Staatskanzlei. Heute gebe es keine »reinen Heldengedenkstätten«, sondern offene Lernorte, die so authentisch wie möglich über geschichtliche Ereignisse informieren.

Nach der Wende musste Brandenburg damit umgehen, mit Sachsenhausen und Ravensbrück von der DDR authentische Stätten des Erinnerns an die Nazidiktatur geerbt zu haben. Es waren Orte des faschistischen Terrors, wo laut Morsch »Verbrechen nicht nur geplant wurden, sondern auch geschahen«. Der Geburtstag der Stiftung war für den Direktor Anlass, erneut das »Ausmaß der Verwahrlosung und des Verfalls« anzuprangern, das er nach seiner eigenen Darstellung vor zwei Jahrzehnten in den Gedenkstätten vorgefunden hat.

Als eine Art »Baustelle« für die Stiftung erweist sich noch die Gedenkstätte im Zuchthaus Brandenburg/Havel. Dass man damit noch nicht so recht vorangekommen sei, habe am langen Schatten des DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker gelegen, der dort bis 1945 inhaftiert gewesen sei und der »eine monumentale Mahn- und Gedenkstätte geplant« habe, rechtfertigte sich Morsch. Wie ein Honecker-Monument Schatten werfen kann, das zu DDR-Zeiten gar nicht errichtet worden ist, ließ er aber offen.

Vom DDR-Antifaschismus sagte Morsch, er sei »erstarrt« und »immer wirkungsloser« gewesen. Die von der Stiftung übernommenen Gedenkstätten seien vor der Wende »politisch instrumentalisiert« worden. Die anwesende Landtagsvizepräsidentin Gerrit Große und auch Umweltministerin Anita Tack (LINKE) bedauerten im Anschluss, dass auf diese wenig aussagekräftigen und individuell nicht zutreffenden Bewertungen nicht verzichtet wurde. Dass auch vor 1989 diese Dinge im Fluss waren und die DDR-Erinnerungskultur von 1987 in vielerlei Hinsicht eine andere war als die von 1961, fiel bei dieser Gelegenheit leider, wie so oft, unter den Tisch.

Die Slowakin Eva Bäckerova, Vizepräsidentin des Internationalen Ravensbrück-Komitees, sprach von Misstrauen und Vorbehalten, ja von Angst, die sie zunächst im Nachwende-Deutschland beschlichen hätten. Doch sei dies einem Vertrauen gewichen.

In der alten BRD hätten die überlebenden Häftlinge eher »gestört«, die Behörden hätten diesen Teil der Geschichte einfach ignoriert, sagte der Präsident des Internationalen Sachsenhausen-Komitees, Roger Bordage. Die DDR habe Gedenkstätten zwar errichtet, doch dort Originales beseitigt. In diesen Anlagen sei der »Triumph des Antifaschismus über den Faschismus« gefeiert worden. Im 1960 gegründeten Internationalen Komitee sei es den Häftlingen dann aber gelungen, »sich stärker Gehör zu verschaffen«.

Von seinem »Schwanengesang« sprach der ehemalige Häftling im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen, Horst Jänichen. Angesichts seines vorgerückten Alters werde er »nicht mehr wiederkommen«, sagte er. Er begrüßte, dass es ein Totenbuch für die Zeit nach 1945 gebe. »Die Toten haben ihre Namen wieder.« Es habe in den vergangenen Jahren so manche Kontroverse mit den Häftlingen des Konzentrationslagers gegeben, doch sei es, obwohl einiges »liegengeblieben« sei, gelungen, »Brücken zu bauen«.

Die KZ-Häftlinge hatten bei der Gründung der Gedenkstätten-Stiftung eine Selbstverpflichtung gefordert, dass es »niemals zu einer Vermengung beider Phasen kommt«. Direktor Morsch erinnerte daran, dass nach 1945 »Nazimörder, Mitläufer und Gegner der kommunistischen Diktatur« in Sachsenhausen inhaftiert gewesen seien.

Der Historiker Bernd Faulenbach hatte nach 1992 am Stiftungskonzept mitgewirkt. Man müsse einem Menschen seine individuelle Haltung zugestehen, wenn er »nicht hinterfragbares Leid ertrage musste«, sagte Faulenbach nun. Doch mahnte er auch, nicht zu vergessen, dass die Naziverbrechen vor denen geschahen, welche die sowjetische Besatzungsmacht in Deutschland beging. »Man muss die Reihenfolge beachten.« Mit Blick auf die wenig differenzierende Gedenkstätte in der Potsdamer Leistikowstraße warb Faulenbach dafür mitzudenken, dass nach der Befreiung »manches vom Klima des Krieges, von seiner Gemengelage und Routine mitgeprägt« gewesen sei. Er lehnte »nivellierende Denkmodelle« ab, wenn sie das Ziel hätten, Verbrechen vor und nach 1945 in einen Topf zu werfen. Etwa die Bestrebungen, am 23. August, dem Tag des Hitler-Stalin-Paktes, beider Phasen der Geschichte gemeinsam zu gedenken.

Gedenkstätten bleibe oft nichts anderes übrig, als möglichst genau zu dokumentieren, was geschah, fuhr Faulenbach fort. Er lobte die intellektuelle Unabhängigkeit der Stiftung. Dies sei ein »hohes Gut«.

Direktor Morsch trat für Offenheit ein. Man müsse in solchen Gedenkstätten der jungen Generation erlauben, ihre eigene Sicht auf geschichtliche Ereignisse zu entwickeln.

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