Das Verschweigen so vieler Verbrechen
Die Filme kamen aus dem Nichts, aus einem Niemandsland zwischen den Zeiten. Das Einzige, was ich mit Sicherheit über sie sagen konnte, war, dass sie sehr alt waren. Männer trugen weite Hosen und Smoking, Frauen große Hüte und glitzernde Kleider. Sie sprachen laut und schnarrend, etwas unnatürlich und rollten das R. Manchmal steppten sie glücklich über eine spiegelglatte Bühne.
An jedem Montagabend liefen diese Filme im DDR-Fernsehen, ohne dass sie in der Programmzeitschrift je mit einer Jahreszahl versehen worden wären. Da über ihre Herkunft nicht weiter nachgedacht wurde, fasste der allmächtige Volksmund sie bald zu einem eigenen Genre zusammen: die Montagabendfilme.
Ich liebte diese Komödien und Schnulzen, diese Musicals mit Heinz Rühmann und Hans Albers, Hilde Hildebrandt und Johannes Heesters. So unwirklich wie die erkennbar gemalten Kulissenwelten, die man durch die Fenster der Studiowohnungen sah, erschien die ganze Welt der Montagabendfilme. Hohepriester dieser zeitlosen Unterhaltungskunst war Willi Schwabe, der bedächtig durch seine Fernseh-»Rumpelkammer« streifte, mal hier einen Zylinder ergriff, den Staub wegblies, um sich augenblicklich an die »Fledermaus« zu erinnern, dort auf einen angegammelten Zuckerhut stieß, der ihn zwangsläufig zur »Feuerzangenbowle« führte, jener Mutter aller Schulklamotten. Es folgten die jeweiligen Filmausschnitte.
Schwabe erschien mir in seiner an einen gehobenen Kutscher erinnernden Uniform immer als Teil dieser vergangenen Welt, und ich war später sehr überrascht, ihn als leibhaftigen Schauspieler auf der Bühne des Berliner Ensembles zu sehen.
Genauso ernüchternd war die Erkenntnis, dass diese leichte Filmkost, die ich mir so gern verabreichte, im Kern verdorben war. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, wann diese Filme für mich ihre Unschuld verloren haben. Aber je klarer mir das Umfeld wurde, in dem sie entstanden, desto aberwitziger erschien mir ihre Fröhlichkeit.
Es sagt viel über diese Werke aus, dass sie sich so nahtlos ins DDR-Programm einfügen ließen. Sie waren so allgemein gehalten, hatten so wenig mit der Realität des Nazi-Reiches zu tun, dass sich das Fernsehen ohne Erklärungsnot aus dem riesigen Fundus bedienen konnte. Es gehörte zu den medialen Errungenschaften der Wendezeit, dass nun das Entstehungsjahr der Nazi-Unterhaltungsfilme kein Tabu mehr war und in den Programmen ausgedruckt wurde, doch da war mir die Freude an Marikka Röck und Adele Sandrock längst vergangen.
Nach der Wende wurde meine kindliche Filmkenntnis dann durch die dunkle Seite ergänzt. Die im Giftschrank abgelegten Propandafilme mit ihrer rassistischen Hetze konnten zumindest teilweise besichtigt werden. Sie erwiesen sich als die andere Seite der Revue-Seligkeit und gehören doch unmittelbar dazu.
Die selektive Wahrnehmung der NS-Filme in der DDR, die Beschränkung auf das scheinbar Unverfängliche verharmloste unbewusst die Mitschuld der Unterhaltungskünstler, die den Soundtrack zur Barbarei lieferten. Man muss, wenigstens in Ausschnitten, die infame Montage aus dem »Ewigen Juden« kennen, mit der Ratten und Juden gleichgesetzt werden. Oder die widerlichen antisemitischen Karikaturen, die der Schauspieler Werner Krauss in »Jud Süß« ablieferte, und für die er ewig in der Hölle schmoren soll. Er erhielt übrigens 1954 das Bundesverdienstkreuz.
Nach der Verwertung des Film-erbes in der DDR begegnete ich nun im Nachwende-Deutschland allerdings nicht nur endlich dem vollständigen Bild, wichtigen Büchern zum Thema, sondern zugleich auch einigen merkwürdigen Strategien. Da war zum einen der kokettierende Umgang mit der Ästhetik der Nazi-Bilder. Seien es die feierlich schreitenden Machthaber in »Star Wars«, diesen kosmischen Reichsparteitags-Filmen, oder die Riefenstahl-Reminiszenzen in martialischen Musikvideos und cooler Werbung. Kalte Nazi-Ästhetik als Pop - das ist so etwas wie der späte Triumph des Montagabendfilmes. Zum Typus des ästhetischen Spielers, der sich frei von ideologischen »Vorurteilen« wähnt und alles verwurstet, was als tabuisiert galt, trat noch ein nicht weniger seltsamer hinzu: Der Fan, der immer apologetisch vorgeht. Sein nostalgisches Bewusstsein wischt über unumstößliche Tatsachen hinweg. Der Fan verharrt im Bereich der infantilen Bewunderung für seinen Star, ob Heinz Rühmann oder Zarah Leander. Er will nicht wissen, was wirklich geschah.
Dabei kann der Fan, wie ich ihn bei der journalistischen Arbeit kennenlernte, durchaus großes Fachwissen aufhäufen, sogar Bücher schreiben. Aber er befindet sich immer im Reich der Sektlaune, im ewigen, nie endenden Montagabendfilm. Darin ist er dem bewunderten Nazi-Star sehr nahe, der die Wirklichkeit auch damals ausblendete, der einfach nur »unpolitisch« unterhalten wollte.
Der Boulevard hilft dem Fan bei der Verdrängungsarbeit. Begriffe wie Schuld, Verantwortung und Verstrickung lösen sich auf dem großen Presse- und Fernseh-Markt auf. Übrig bleibt die Bewunderung für den ewig jungen Ober-Charmeur des Dritten Reiches Johannes Heesters, über dessen Gesundheitszustand wir zuverlässig unterrichtet werden, und den kleinbürgerlich-verschmitzten Heinz Rühmann, der sich stellvertretend für die ganze Nation larmoyant die Wunden leckte.
Der Schauspieler Joachim Krol, der gern als heutiger Rühmann gerühmt wird, sagte mir mal: »Der Mann ist mir unsympathisch. Die Zeit, aus der er kommt, ist mir unsympathisch. Ich möchte nicht mit ihm verglichen werden.« Auch für solche Sätze muss man Krol einfach lieben.
Das Kokettieren mit der kalten Ästhetik, die freundliche Verharmlosung durch die Fans und die bunte »Boulevarisierung« der filmischen Vergangenheit setzen im Grunde das Erbe der Montagabendfilme fort. Hier wie dort wird die furchtbare Gleichzeitigkeit von blutigem Massenmord und beschwingtem Stepptanz einfach ausgeschaltet und die Möglichkeit eines richtigen Lebens im falschen unterstellt.
Für mich gilt nach wie vor Brechts großartiger Satz, wonach ein Gespräch über Bäume in bestimmten Zeiten ein Verbrechen darstelle, denn es sch...
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