SPD Hessen will Tafeln überflüssig machen

FR-Abgesandte besuchten Wahlparteitag

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Gut ein halbes Jahr vor Bundestags- und Landtagswahl am 22. September setzt die Hessen-SPD auf eine Ablösung von Schwarz-Gelb - in Berlin und Wiesbaden. Ein Parteitag in Hanau verabschiedete ein Landeswahlprogramm und stellte die Landesliste für die Bundestagswahl auf.

Um Basisnähe zu demonstrieren, saßen Starredner und Vorständler nicht auf einem Podium. Die Tische waren in einer Runde angeordnet, das Mikrofon in der Mitte. Pappschilder mit der Aufschrift »Wechsel« vermittelten einen Hauch von Obama-Kampagne. Betont sozial gab sich auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. In lockerem Ton trug er programmatische Mosaiksteine vor, die die Delegierten hören wollten: kein Optionszwang bei der Staatsbürgerschaft, gleicher Lohn für Frauen, flächendeckende Kinderbetreuung, abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren, Mindestlohn ... Trotz schlechter Umfragewerte werde sich die SPD in einer rot-grünen Landes- und Bundesregierung wiederfinden, wenn sie eine hohe Wahlbeteiligung erreiche, machte Steinbrück den Seinen Mut.

Als »Anwalt der kleinen Leute« präsentierte sich auch Landes- und Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel. »Unser Fokus sind die Menschen, die jeden Tag hart und ehrlich arbeiten«. Auch einen Hauch Selbstkritik an dem von SPD-Kanzler Gerhard Schröder eingeleiteten Boom der Zeitarbeitsbranche ließ er anklingen: »Wir haben auf Wunsch vieler in der Wirtschaft diese Regelung so gemacht, das wird aber flächendeckend missbraucht und dient nicht als Einstieg in den regulären Arbeitsmarkt.« Als Ministerpräsident werde er Tafeln für die Lebensmittelversorgung bedürftiger Menschen überflüssig machen, so Schäfer-Gümbel. Die Delegierten nahmen das Wahlprogramm bei einer Enthaltung geschlossen an.

Änderungsanträge, die etwa auf einen grundlegenden Umbau des Verfassungsschutzes oder die verbindliche Zusage einer Rückführung des privatisierten Uni-Klinikums Gießen-Marburg in Landesbesitz abzielten, wurden unter Druck des Landesvorstands abgelehnt. Auch der Ruf nach einem Nachtflugverbot zwischen 22 und sechs Uhr fand keine Mehrheit. »Das gibt die Rechtslage nicht her«, meinte Schäfer-Gümbel.

Ähnliche »Sachzwänge« führte der Landesparteichef auch im Gespräch mit Flughafenanwohnern aus der Rhein-Main-Region an, die vor der Halle gegen Fluglärm demonstrierten. Weitaus weniger harmonisch als die Saalveranstaltung war für den SPD-Spitzenmann auch ein Gespräch mit langjährigen Beschäftigten der »Frankfurter Rundschau« (FR) und Gewerkschaftern, die ebenfalls vor der Halle demonstrierten. Mit dem jüngsten Insolvenzverfahren habe die SPD-eigene Medienholding DDVG als bisherige FR-Gesellschafterin eine allzu billige Variante der Betriebsschließung gewählt, kritisierte ver.di-Mann Manfred Moos. Nun stünden über 400 Arbeiter und Angestellte ohne Arbeit da, und selbst »Altgediente« könnten maximal 500 Euro pro Beschäftigungsjahr als Mini-Abfindung erwarten. Dabei habe die Belegschaft die Zeitung jahrelang mit Gehaltsverzicht in zweistelliger Millionenhöhe über Wasser gehalten, so Ex-Betriebsratschef Viktor Kalla.

Er werde sich bei der DDVG für eine Vorfinanzierung des Sozialplanes einsetzen, versprach Schäfer-Gümbel. Anders als er ging Steinbrück den demonstrierenden Gewerkschaftern vor der Halle aus dem Weg und bestieg nach seinem Auftritt im Saal hastig die wartendende Limousine.

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