Erzieher wollen keine »Aufpasser« sein

GEW fordert Finanzsenator Nußbaum auf, die Arbeitsbedingungen an Schulen zu verbessern

  • Nissrine Messaoudi
  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin ist in Sachen Ganztagsschule bundesweit Vorreiter. Jede Grundschule in der Hauptstadt bietet eine ganztägige Betreuung an, wo sich Lehrer und Erzieher gemeinsam um die Kinder kümmern. Das sollte zumindest so ein. Doch die Praxis sieht anders aus. Oft können Erzieherinnen und Erzieher ihre ergänzende Aufgabe gar nicht erfüllen, sondern müssen kurzfristig krank gewordene Lehrer bei Unterrichtsausfall vertreten. Das ergab eine Umfrage der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin, die gestern vor Journalisten präsentiert wurde.

»Die Vertretung von Lehrkräften gehört definitiv nicht zu den Aufgaben von Erzieherinnen und Erziehern. Trotzdem gaben 97 Prozent an, bei Lehrerausfall eingesetzt zu werden«, sagte Doreen Siebernik, Vorsitzende der GEW Berlin. Durchschnittlich werden dafür rund zwei Stunden in der Woche aufgewendet. »Rechnet man das um, kann man sagen, dass ca. 330 Lehrer und Erzieher an den Schulen fehlen«, so Siebernik. Durch häufige unterrichtsbegleitende Tätigkeiten und Konferenzen bleibt den Erziehern zusätzlich kaum Zeit, um die Arbeit mit den Kindern vor- und nachzubereiten.

Die Gewerkschaft hat daher Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) zu Tarifverhandlungen über die Regelung der Arbeitsbedingungen von Erzieherinnen und Erziehern an Schulen aufgefordert. »Kinder haben Bedürfnisse, auf die wir eingehen müssen. Das schaffen wir aber nicht, wenn wir statt uns kreative Aufgaben zu überlegen, plötzlich eine Klasse oder zwei beaufsichtigen müssen«, kritisierte Gisela Osuch-Trogisch, Erzieherin an einer Ganztagsschule in Steglitz-Zehlendorf. Hoch qualifizierte Kräfte als »Aufpasser« einzusetzen, sei eine Verschwendung der Kompetenzen. »Sicher kann ich 50 Schüler zum spielen auf den Schulhof schicken und sie beaufsichtigen. Das kann aber nicht unser pädagogischer Ansatz sein«, so Osuch-Trogisch.

Raum für individuelle Lösungen sieht die Senatsverwaltung für Finanzen jedoch nicht. Mit dem Eintritt in die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) strebe Berlin an, die Arbeitsbedingungen seiner Angestellten mit denen in den anderen Ländern zu harmonisieren. Tarifliche Lösungen müssten deshalb gemeinschaftlich im Rahmen der TdL gefunden werden, betonte ein Sprecher der Finanzverwaltung gegenüber »nd«. Das weist die GEW zurück. »Wenn es in einem Land besondere Gegebenheiten gibt, muss es auch möglich sein, individuell darauf zu reagieren«, sagte Holger Dehring von der Gewerkschaft. Schließlich gebe es bereits Landesspezifische Regelungen. So habe beispielsweise der Senat die Vor- und Nachbereitungszeiten für Erzieher in der Kita festgeschrieben. Das müsse also für Erzieher in der Schule auch möglich sein. Um sich dennoch Gehör bei Senator Nußbaum zu holen, werde die GEW gemeinsam mit ver.di weitere Schritte besprechen. Auch weitere Streiks seinen nicht ausgeschlossen. Bereits im Februar und März blieben etliche Schulen wegen Streiks geschlossen. Erzieherin Gisela Osuch-Trogisch ist jedenfalls entschlossen: »Wir wollen ernst genommen und wertgeschätzt werden. Dafür sind wir bereit zu kämpfen.«

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