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Lektion in Geschichtslosigkeit

»Der Ring: Next Generation« enttäuschte an der Deutschen Oper

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Titel »Next Generation« ist falsch und in der gezeigten Version auf Wagners Werk angewandt grundfalsch. Welche Generation ist gemeint und welche könnten gemeint sein? Den Bildern nach zu urteilen, agiert eine junge, heute lebende, mehrheitlich deutsche Generation auf der Bühne mit Wagners Hauptwerk. Diese Generation hat natürlich selber ihre Geschichte. Wagner schuf den »Ring des Nibelungen« während der Zeit der postrevolutionären Krise, nachdem Adel und Bürgertum die Aufstände des Volkes blutig niedergeschlagen hatten, wider die Ehre derjenigen, welche im Barrikadenkampf für bürgerlich-demokratische Rechte fielen. Und Wagner gehörte zu den Barrikadenkämpfern 1848/49.

Müssten in der geschichtlichen Vertikale nicht auch die danach folgenden deutschen Generationen gemeint sein, aufstrebend wie leidend unter Preußens Gloria, unter der »Blut und Eisen«-Politik, unter Sozialistengesetz und brutaler Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise, als deren Reflex der »Ring« durchaus gelten kann? Denn das vierteilige Werk ist voll von kriminellen Subjekten, von Straftatbeständen (Diebstahl, Mord, Verschleppung, Totschlag, Brandstiftung, Blutschande, Tierquälerei und Beihilfe zu all diesen Delikten), Shakespeares Dramen in nichts nachstehend.

Müsste das Wort »Next Generation« nicht auch die jämmerliche, obrigkeitshörige, durch die Schikanen der Ständeordnung verbogene Generation mit bedenken, welche Heinrich Mann im »Untertan« präzise umreißt? Oder die kampfbereite von 1914, mit Hölderlin - und Wagnerdichtung im Tornister, marschfertig zur Sommefront? Oder die heilsschwangere, konterrevolutionär getrimmte von 1933? Oder jene von der Geißel des Krieges endlich erlöste, um Millionen geschrumpfte Generation von 1945?

Oder neben der heutigen Generation die ihr folgenden, ebenso dazu verurteilt, den Systemen der permanenten, schamlosen Ausbeutung, des frechsten Betrugs Untertan zu sein? Ist bei solch einer Bilanz möglicher Generationsbezüge nicht Verzweiflung, Widerstand angesagt? Überlegenheit im Umgang mit Wagners Unternehmung, die nicht umsonst das Güldene, Blendende des Rings, welches Böses verheißt, ja Schrecken, ins Zentrum stellt - stilisiert, gepackt ins Reich der Sagen, verklärter Helden, Übermenschen, Riesen und Zwergen?

Die je geschundenen Generationen, stammend aus gehobenen wie niederen Klassen, lösen einander widersprüchlich ab, seit der »Ring« existiert, und eine jede erlaubte den Bezug zum Werk. Wagner spricht selbst als eben solch Geschundener, dem das Scheitern der Aufstände seinerzeit schwer auf der Seele lag. Wird der skizzierte Generationenkomplex nicht wenigstens ansatzweise mitgedacht, kann die Inszenierung mit dem Anspruch »Next Generation« nur schief gehen.

Und das tat sie. Auf der ganzen Linie (Inszenierung Robert Lehniger, Dirigent Moritz Gnann, Projektleitung Nina Sinz). Zwei Stunden heiße Luft, bunte, heile Welt, durchsetzt mit etwas Konflikt und Multikulti. Historische Kämpfe, verglichen mit heutigen, abgezogen aus denen des »Rings«? Nichts dergleichen. Rebellieren wider das unheilvolle Jetzt, sprich das Reich Wotans, kenntlich als alte Welt, die weg gehört? Gott bewahre. Die Liebe, zusammengedacht mit dem Scheitern der 48er Revolutionen? Null.

Ein Oberflächenreiz jagt den nächsten. Dauernd wandern die Kästen mit den grünen Sträuchern, als hielte der Frühling Einkehr. »Der Ring: Next Generation« bot die reine Geschichtslosigkeit. Lebensfrohe, begabte junge Leute unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe beleben durchaus die Bühne, jedoch im Zeichen des bunten Events, des Musikverschnitts. Mal sind Einzelne nachdenklich, auch traurig, wenn sie ihre Geschichten erzählen. Die handeln zwar in Bruchstücken vom Geschehen des »Ring«, haben aber mit dem Sinn der Tetralogie so wenig zu tun, wie das Treiben der Rockmusiker (E-Gitarristen) mit dem der Orchestermusiker.

Cross-Over, in Dosen serviert, fließt über die Bühne wie Soße über die bunte Gemüseplatte. Ein bisschen Wagner aus dem Orchestergraben, ein bisschen Pop, Rap, Tanz. Nichts Halbes, nichts Ganzes. Solistinnen und Solisten singen obendrein in diesen Qualm hinein, was besonders weh tat. Schade um die Leistung der Kinder und Jugendlichen. Alle machten prächtig mit. Die Videowand in der Mitte stellt schöne, nachdenkliche Gesichter aus. Plötzlich tauchen Maskierte auf, Gesichter mit Abdrücken aus Knetmasse. Die lehren keineswegs das Fürchten. Das Existierende solle sich neu zusammensetzen, tönt es des öfteren aus kindlichem Mund. Jedoch von Dekonstruktion in einem konstruktiven Sinne fehlte jede Spur. Solche Aufführungen führen von den Werken weg.

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