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Bei aller Skepsis: ein solidarisches Europa ist machbar

  • Lesedauer: 4 Min.

Das folgende ist geschrieben an einem Morgen vor dem Hintergrund der Nachrichten über das „Rettungspaket“ für Zypern, das in den Agenturen tatsächlich noch so genannt wird, obwohl alles dagegen spricht, dass hier - außer ein paar Banken - irgendetwas gerettet wird.

Wolfgang Michal hat am Sonntag schon darauf hingewiesen, dass hier erstmals „in einem kleinen, sehr überschaubaren Euro-Land getestet“ werde, ob die Bevölkerung bereit sei, „auch harte Maßnahmen zu schlucken, ohne massiv, etwa mit Bankbesetzungen oder Parlamentsblockaden, dagegen aufzubegehren“. Der gewerkschaftsnahe Wirtschaftsweise Peter Bofinger warnt in der „Passauer Neuen Presse“ vor einer galoppierenden Verschärfung der Eurokrise, die „ein Vielfaches von dem kosten“ würde, „was man jetzt glaubt, durch die Beteiligung der Sparer in Zypern einsparen zu können“. Bofinger spricht von einem „zweiten Tabubruch“. Und, um noch ein drittes Schlaglicht zu nennen, auf Twitter schreibt der Blogger Markus Trapp: „In Zypern müssen die Menschen mit ihren Spareinlagen für Fehler von Finanzspekulanten herhalten, hierzulande beklagt man sich über Schnee.“

Ganz so ist es zum Glück nicht. Auch wenn man in der Öffentlichkeit davon nur am Rande die Rede ist - oder gar nicht: Es wird durchaus noch über Alternativen nachgedacht. Das dauert, will man sich demokratischer Spielregeln befleißigen und Leute aus verschiedenen Spektren auf einen gemeinsamen Nenner bringen, mitunter etwas länger. So auch beim Institut Solidarische Moderne, das dieser Tage ein Papier veröffentlicht hat, das nichts weniger verspricht als „Alternativen für eine gerechte und solidarische europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik“, also „politische Maßnahmen zur Krisenbewältigung“, die sich von denen unterscheiden, die in Zypern nun zum Run auf die Bankschalter geführt hat.

Das Positionspapier des Instituts geht zurück auf Debatten, die im vergangenen Jahr begonnen haben und seither kontinuierlich weitergeführt wurden - nicht zuletzt als Versuch, „Positionen einer Mosaik- Linken miteinander zu vermitteln, gegenseitiges Verständnis der Gemeinsamkeiten und Differenzen zu erzielen und zu einer gemeinsamen Position zu gelangen“, wie es beim ISM heißt. In dem Papier wird zunächst die europäische Krise analysiert (die falsch konstruierte Währungsunion, die deregulierte Finanzwirtschaft und die bisher getroffenen unsozialen Maßnahme) und dann sind zehn Maßnahmen aufgeführt - als „eine progressive Antwort“, die „konstruktive Lösungsansätze aus Wissenschaft, Politik, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen“ zu bündeln versucht.

„Es ist zur Zeit weder absehbar, wie sich die strategischen Fronten entwickeln, noch welche Formation der künftige Kapitalismus einnehmen wird“, heißt es in dem Papier. „Gegenwärtig ist zumindest fraglich, ob die Krise systemimmanent gelöst werden kann. Das neoliberale Akkumulationsregime scheint erschöpft zu sein, und eine neue Wachstumskonstellation wie ein Green New Deal steht politisch auf der Agenda nicht oben. Eher ist zu befürchten, dass sich ein ,Weiter So‘ durchsetzen wird.“ Das klingt nicht gerade optimistisch, dürfte aber den Umständen - siehe oben - weit besser angemessen sein als alle übertriebene Hoffnung auf einen ebenso schnellen wie radikalen Kurswechsel.

„Bei aller Skepsis in der Betrachtung der gegenwärtigen politischen Akteure in Deutschland und Europa“, so heißt es in dem ISM-Papier, sei man aber doch „überzeugt, das ein solidarisches Europa machbar ist“. Die Überlegungen des Instituts oszillieren dabei zwischen der Notwendigkeit eines umfassenden Zukunftsentwurfs, der wie es heißt „das dialektische Verhältnis von Kapitalismus und Demokratie in Anbetracht der Krise neu bewerten muss“, und realpolitischen Handlungsmaximen, die eben das noch keineswegs abbilden, was das ISM unter Rückgriff auf Oskar Negt „reale Utopie“ nennt.

Die Debatte, so das Institut, müsse „vertieft werden“ - und womöglich ist so ein Morgen vor dem Hintergrund der Zypern-Nachrichten gar kein schlechter Zeitpunkt, daran zu erinnern - und an die bisher meist noch unverbundenen, losen Enden alternativer Überlegungen, Ansätze und Forderungen (was ist zum Beispiel hieraus geworden?) gegen die Krisenpolitik der Herrschenden.

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