Mauer weg, Orden zurück

Protest gegen Abriss: Künstler will Bundesverdienstkreuz nicht mehr

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Empörung über den Umgang mit der East Side Gallery ebbt nicht ab. Am Donnerstag protestierten rund 600 Menschen vor dem Roten Rathaus und bekräftigten ihre Forderung nach einem lückenlosen Erhalt des Denkmals. Zu der Aktion aufgerufen hatte das Bündnis »East Side Gallery retten«.

Auf selbstgebastelten Schildern und Transparenten waren Sprüche wie »Immobilienhaie zu Fischmehl« und »Die Mauer muss bleiben, am Stück, nicht in Scheiben« zu lesen. Immer wieder schallte der von den Demonstranten gerufene Spruch »Wowereit, das Denkmal bleibt!« über den Platz vor dem Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD).

Tags zuvor hatte die von Investor Maik Uwe Hinkel veranlasste Entfernung von vier weiteren Segmenten der unter Denkmalschutz stehenden Gallery eine Welle der Entrüstung ausgelöst. Die am Mittwoch in aller Frühe auf nunmehr sechs Meter vergrößerte Lücke solle dabei nur als Provisorium für einen besseren Zugang zur Baustelle dienen, hieß es von Seiten des Investors, der hinter der Mauer luxuriöse Apartments bauen will. Selbst Senat und Bezirk waren von dieser Aktion eigenen Angaben zufolge überrascht worden. Hinkel hatte zuvor stets versichert, keine weiteren Teile der Mauer entfernen zu lassen, solange Gespräche über eine mögliche Kompromisslösung noch andauern.

Die Gegner einer Bebauung des Spreeufers bekräftigten unterdessen, dass es nicht nur um die Mauergalerie gehe, sondern das ganze historische Ensemble samt ehemaligem Todesstreifen vollständig erhalten bleiben müsse. »Für mich sieht es so aus, als würde Wowereit der East Side Gallery keinerlei Bedeutung zumessen«, erklärte Sascha Disselkamp von der Club-Kommission. Ein Kompromissvorschlag Wowereits sieht nun vor, das Gelände über ein Nachbargrundstück erschließen zu lassen. Eine Lösung, die schon vorher im Gespräch war, Hinkel aber trotzdem nicht von seiner Aktion abhielt. Hierfür müsste eine dort bereits vorhandene Mauerlücke von vier auf gut zehn Meter vergrößert werden. Hinkel will das jetzt prüfen, wahrscheinlich müssten er und der Investor des Nachbargrundstücks für diese Lösung ihre Baupläne ändern. Dafür erwarten sie Entschädigungen.

Für Disselkamp ist dieser Vorschlag schlicht »ein Witz«: Was jetzt als angebliche Lösung verkauft werde, »ist exakt das, wogegen wir protestieren. Unsere Forderung an den Senat bleibt auch weiterhin, dem Investor ein Ersatzgrundstück anzubieten oder eine Entschädigung zu zahlen, damit die Mauer komplett erhalten bleibt.« Die Einzigartigkeit der Mauergalerie, die Touristen aus aller Welt anziehe, würde durch das Bauprojekt verloren gehen. In einer Online-Petition seien bereits über 82 000 Unterschriften für den Erhalt des Mauerstücks gesammelt worden.

Unter den Demonstranten befand sich auch Kani Alavi. Der iranische Künstler war Anfang der 1990er Jahre der Initiator der bunten Mauerbemalung und setzt sich seit Jahren für den Erhalt der East Side Gallery ein. Jetzt will er aus Protest gegen die andauernde Zerstörung des Denkmals sein 2011 für dieses Engagement erhaltene Bundesverdienstkreuz zurückgeben. »Es ist würdelos, wenn das Werk, für dessen Erhalt ich ausgezeichnet wurde, jetzt wieder von der Stadt zerstört wird.«

In den kommenden Tagen und Wochen wollen die Aktivisten immer wieder mit Aktionen für den Erhalt der East Side Gallery protestieren. US-Sänger und Baywatch-Star David Hasselhoff hat inzwischen ein Konzert zum Erhalt der East Side Gallery ins Spiel gebracht. »Der Kampf ist noch nicht vorbei«, twitterte der 60-Jährige.

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