Mit Kirchengeläut aus der Taufe gehoben

Aus der Geschichte der Linken: Wie es zur Gründung des Leninbundes kam

  • Marcel Bois
  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin, 8. April 1928: Während überall die Kirchenglocken die Auferstehung Jesu Christi verkündeten, trafen sich 150 Delegierte im Gebäude des Preußischen Landtags, um den von ihnen befürchteten Untergang ihrer Partei zu verhindern. Es waren Kommunisten, die sich an diesem Ostersonntag versammelt hatten. Einige waren noch Mitglieder der KPD, andere hatten die Partei bereits verlassen oder waren ausgeschlossen worden. Sie wählten einen ungewöhnlichen Weg zur Rettung ihrer Partei: Sie gründeten eine neue Organisation, den Leninbund. Der frisch gewählte Vorsitzende Hugo Urbahns erklärte, die KPD sei auf den Weg des »unverfälschten Leninismus« zurückzuführen. Aus Sicht der Anwesenden hatte sich jene von ihren Grundsätzen entfernt.

In der Tat war in den ersten Jahren ihrer Existenz ein fundamentaler Wandel erfolgt, den die Geschichtswissenschaft heute als »Stalinisierung« bezeichnet: Parallel zum Aufstieg der Parteibürokratie um Stalin in der Sowjetunion war die Abhängigkeit der KPD von der russischen Schwesterpartei gewachsen. Am Ende stand eine entdemokratisierte, vom Apparat bürokratisch beherrschte Organisation, geleitet von einem moskauhörigen Zentralkomitee. Zunehmend unterband die Führung um Ernst Thälmann interne Diskussionen und löste Konflikte durch Repressionen. Zugleich nahm der Dogmatismus zu. Die Sowjetunion wurde, so die Historikerin Sigrid Koch-Baumgarten, »zum heiligen Land stilisiert, Marx, Engels, Lenin … wie Religionsstifter verehrt«.

Dagegen kämpfte die KPD-Linke. Im September 1926 veröffentlichten sie eine Resolution mit der Forderung, dass die Partei offen und ehrlich über die Entwicklungen in der Sowjetunion diskutieren solle. Innerhalb weniger Tage unterzeichneten knapp 700 führende KPD-Mitglieder das Papier. Das zeigte: Die Linksopposition war weit mehr als der kleine Intellektuellenzirkel, wie später in der DDR behauptet wurde. Stattdessen handelte es sich überwiegend um Arbeiter. Zeitweilig verfügte die linke Opposition in der KPD über eine Anhängerschaft, deren Zahl im fünfstelligen Bereich lag.

Das ZK reagierte auf deren Kritik mit Parteiausschlüssen. Allein in Frühjahr 1927 mussten 1300 Funktionäre die KPD verlassen, ganze Ortsgruppen wurden aus der Partei gedrängt. Das zwang die Linksoppositionellen dazu, sich verbindlicher zu organisieren. Tatsächlich war es den Initiatoren gelungen, im Leninbund nahezu alle bekannten linken Kritiker des KPD-Kurses zu vereinen. Mit Ruth Fischer gehörte der neuen Organisation eine ehemalige Parteivorsitzende an, zudem fünf weitere ehemalige ZK-Mitglieder, darunter Urbahns, Arkadi Maslow und Werner Scholem. Auch diverse Reichstags- und Landtagsabgeordnete traten dem Leninbund bei. Die genaue Mitgliederzahl lässt sich heute nur sehr schwer rekonstruieren, aber sie dürfte bei 3000 bis 6000 gelegen haben. Stark vertreten war die Gruppe in Berlin, darüber hinaus in Dortmund, Mannheim, Suhl und in Hessens Neu-Isenburg. Insgesamt gab es über 40 Ortsgruppen.

Im Vorfeld der Gründung hatten die Initiatoren explizit betont, dass der Leninbund nicht in Konkurrenz zur KPD stehen solle: »Wir erfinden damit kein neues Programm, wir gründen damit keine neue Partei.« Jedoch fällten die Delegierten der Gründungskonferenz eine Entscheidung, die dem widersprach. Auf Vorschlag von Urbahns beschlossen sie, bei den kommenden Reichstagswahlen mit eigenen Listen anzutreten. Nicht wenige protestierten dagegen. Auch Leo Trotzki warnte aus der Ferne: »Eigene Kandidaturen heißen: Die KPD ist nicht mehr kommunistisch, nieder mit ihr. Dieser Schritt ist die Vollendung der Spaltung und wird die Eroberung der Partei unmöglich machen.« Er sollte Recht behalten. In den kommenden Wochen verließen aufgrund der Wahlentscheidung etliche namhafte Kommunisten den Leninbund wieder, was ihn in eine tiefe Krise stürzte. Von den gerade gegründeten Ortsgruppen lösten sich einige auf oder beantragten die Wiederaufnahme in die KPD. Andere liefen zur SPD über.

Die Reichstagswahl am 20. Mai 1928 endete erwartungsgemäß in einem Fiasko. Der Leninbund erhielt lediglich 0,26 Prozent der Stimmen. Auch wenn er noch einige Jahre fortbestehen sollte, so war schon jetzt deutlich: Der einzige ernsthafte Versuch in der Geschichte der Weimarer Republik, die linke KPD-Opposition in einer Organisation zu sammeln, war gescheitert.

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