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Hans-Joachim Frank über das »theater 89«: neues Domizil - und Treue zu sich selbst

  • Lesedauer: 6 Min.
Hans-Joachim Frank
Hans-Joachim Frank

nd: Hans-Joachim Frank, sind Sie jetzt ein Westtheater?
Frank: Ja.

Was heißt das?
Andere Länder, andere Sitten. (Lacht.) Berlin ist eine Vielvölkergemeinschaft, und Moabit ist sehr anders als Mitte.

In Mitte herrschen Überfluss und Andrang an kulturellen Angeboten.
Hier nicht. Hier scheinen sich Leute zu freuen, dass ein Theater eröffnet. Der Stadtbezirk ist nicht gesegnet mit Reichtum, Prunk, profitablen Möglichkeiten. Das kommt uns nah. Natürlich bringen wir auch treues Publikum mit.

Ihr bislang größter Erfolg?
Über viele Jahre hinweg gemeinsam Erfahrungen machen zu können. Wir gründeten uns im Mai 1989. Wir versuchten also die Freiheit, bevor sie uns überrannte. Der Zusammenbruch der DDR überraschte auch uns, und mit dem Theater, mit der Hilfe von Autoren wie Oliver Bukowski besaßen wir sofort eine Praxis, um die Situation zu verarbeiten, um uns zurechtzufinden. Wir mussten nicht irgendwo in einer Ecke sitzen und darauf warten, was vermeintliche Götter entscheiden.

Tut es der Kunst besonders gut, wenn sie an den Rändern lebt?
Über Kunst rede ich nicht gern. Wir haben andere Probleme, zudem ist Theater zuallererst Handwerk und Rüstzeug - Kunst ist jener Hauch ab und zu, den man spürt, wenn er vorbei ist. Die Macher entscheiden darüber am wenigsten. Und im Übrigen arbeiten wir in einer Etage der Gesellschaft, wo gewiss nach Ansicht einiger, die ganz oben leben, kaum Kunst entsteht.

War diese Bemerkung eben zynisch?
Nein, weder zynisch noch resigniert. Eher selbstbewusst. Eine Erfahrung.

Herr Mihan, Sie als Dramaturg des Theaters: Wieviel Mut bedarf es heute für wirkliche Dramaturgie? In Zeiten, in denen eine Entwicklung von Linien an den meisten Bühnen kaum stattfindet, eher doch nur eine möglichst günstige, öffentlichkeitswirksame Mischung von Regisseursinteressen.
Jörg Mihan: Wir erhalten Konzeptförderung. Wenn man das ernst nimmt, dann bedarf es einer gewissen Konzentration und eben Linie im Spielplan. Wir wollen dem, uns selber also, treu bleiben.

Inklusive Randständigkeit.
Mihan: Randständigkeit, das ist doch ein relativer Begriff. Wichtig ist, sich an Stoffen, sich an einer Arbeit zu verschleißen, die mit einem selber mehr zu tun hat als mit dem Anpassungstraining - an einen Markt, wo zum Beispiel proportional mit den medialen Möglichkeiten auch die Fremdsteuerung wächst.

Herr Frank, warum, gerade jetzt wieder, die Beschäftigung mit Geschichte?
Frank: Wir wissen nie, was wir wirklich nach vorn hin können, aber wir können aus dem Blick zurück erfahren, was wir nie wieder so oder so tun dürfen. Das ist doch sehr, sehr viel an Handreichung!

Und Geistreichung. - Nehmen wir Ihre Version der Protokolle der letzten ZK-Tagung, »Das Ende der SED« - kam da mehr Ost- oder mehr Westpublikum?
Oft mehr Westpublikum. Seltsam, oder?

Woran liegt das?
Bei einem Ex-DDR-Publikum bestimmten Alters wirken emotionale Bindungen an die Vergangenheit offenbar wie ein Schutzpanzer: Man will schmerzende Wahrheiten nicht an sich heranlassen. Man bleibt bei aller rationalen Verarbeitung neuer, desillusionierender Fakten doch - infiziert. Von etwas, das man noch immer Ideal nennt und man meint, es von geschichtlicher Praxis abtrennen zu können.

Es gibt einen wunderbaren Satz von Wolf Biermann, der meint, tief in seinem Inneren sei er gewissermaßen noch immer kommunistisch kontaminiert; jeder Mensch bleibe ein Sklave früher politischer, idealischer Prägungen: »Auch in einer Ecke meines Rippenkäfigs sitzt ein kleiner Stalin, er büßt dort seine lebenslange Strafe ab - und tut mir weh.«
Ja, man verzeiht sich sogar das Diktatorische, zu dem man selber Bausteine lieferte. Man will sich festhalten an dem, wofür man lebte, und will keinem gestatten, eine politische Ikonografie zu beschädigen. Irgendwann, wenn die Zeit über alles drüberprescht, hat man Furcht vor den Scherben der Frühprägung.

Die schneiden zu sehr ins Gemüt.
Nun wollen wir als Theaterleute aber nichts zertrümmern und verletzen, sondern uns gemeinsam schwierigen Fragen nähern. Was geben wir weiter? Ich gehöre zu einer, sagen wir ruhig: verlorenen Generation, ich werde das wie immer geartete Neuland nicht mehr kennenlernen. Aber was geben wir unseren Kindern als lebbare Haltung weiter? Es kann doch nur sein: Fragen, zweifeln, skeptisch sein!

Sie präsentieren derzeit Theaterabende mit Spitzen-Gesprächsprotokollen aller »sozialistischen Phasen«, von Stalin über Pieck bis Gorbatschow und Krenz. Gibt es Verbindendes?
Ja. Es waren alle Pragmatiker und Manager der Macht. Es ging ihnen um machterhaltende Realpolitik. Und für draußen, fürs Volk wurde getüncht, wurde das Vokabular der Ideale drübergeschmiert. Unter dieser Tünche wuchs ich zum Beispiel auf. Ich glaubte. Während die da oben schlichtweg nur immer rechneten und kalkulierten und durch die Realitäten des politisch Möglichen stolperten. Die Bevölkerung in der DDR wurde niemals wirklich aufgeklärt und eingeweiht, sie wurde eingeschworen in eine fortwährende Verklärung, mal ganz geschickt und dann wieder ganz plump - diese ganze ideologische Färberei hatte etwas Menschenverachtendes.

Herr Mihan, am Anfang unseres Gesprächs fiel der Name des Autors Oliver Bukowski. Was denken Sie über den Stand deutscher Gegenwartsdramatik?
Mihan: Sie ist mit den Jahren nicht weniger geworden. Die Welt der Stückeschreiber ist ein Kaufhaus: genügend Apokalyptiker im Angebot und genügend Tröster. Hinzu kommt eine wachsende Neigung zur Ironie. Hoffentlich hat das »theater 89« Witz und Humor - ironiebegabt sind wir nun wahrlich nicht. Auch die Dramatik offenbart: Kaum etwas ist noch raumgreifend, die Lebenserfahrungen schwirren wie Splitter, und vielfach ist das Theater just aus diesem Grunde selbst zum Autor, zum Bearbeiter von prosaischen und anderen Stoffen geworden.

Hans-Joachim Frank, was heißt für Sie: Freiheit?
Frank: Ich beziehe Ihre Frage aufs Theater: Der Senat von Berlin gibt uns mit erwähnter Förderung seit Jahren eine Chance - die gilt es zu nutzen. Diese Chance ist auf eine konkrete Idee von Theater gerichtet. Das allein sichert freilich keine Existenzen. Also muss jeder im festen losen Ensemble, für sich selbst, noch andere Möglichkeiten seiner Berufsausübung ausloten. Um dann und immer wieder zu unserem kleinen Ideendrama »theater 89« zurückkehren zu können. Unter diesem Niveau von Stress wollen wir nicht scheitern. Wir sind nicht mehr in der Gummizelle. Wir sind draußen. Der Wetterbericht ist sozusagen wichtig geworden: welcher Wind, welches Licht, wie lange Regen und dunkle Wolken? Man hat viele Gründe, aufzublicken.

Interview: Hans-Dieter Schütt

»theater 89« - eine renommierte Berliner Adresse, bislang in Mitte, Torstraße, jetzt im historischen Gemeindesaal Moabit, Putlitzstraße 13 (Nähe S- und U-Bahn Westhafen).

Zwei der nächsten Premieren dort gehören zum zweijährigen Projekt ERINNERN - am 26. April »Deine Schnauze wird dir in Sibirien zufrieren. Ein Jahrhundertdiktat. Erwin Jöris. Teil 1«, am 27. April »Gipfelgespräche Stalin-Pieck-Ulbricht-Grotewohl«. Regie: Hans-Joachim Frank (oben, nd-Foto: Camay Sungu). Er wurde 1974 von Ruth Berghaus ans Berliner Ensemble geholt und gründete das »theater 89«. Zum Gespräch mit ihm gesellt sich auch der langjährige Dramaturg des Theaters, Jörg Mihan (unten, Foto: theater 89/Elke Schmälzle).

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