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Doch keine Betonköpfe im Landtag

Abgeordneter weist Negativpreis des Behindertenverbandes für neuen Plenarsaal zurück

Der Plenarsaal des neuen Landtags ist aus Sicht des märkischen Behindertenverbandes nicht barrierefrei. Deshalb vergab der Verband seinen Negativpreis »Betonkopf« an die verantwortliche Landtagsverwaltung und das ebenfalls zuständige Finanzministerium. Doch die Aktion stößt nicht nur bei den beiden Preisträgern auf Unwillen und Unverständnis. Auch der Landtagsabgeordnete Jürgen Maresch (LINKE) kann die Argumente nicht nachvollziehen.

»Die aus Sicht des Präsidiums hinteren Reihen werden nur über Stufen erreichbar sein«, hatte der Behindertenverband am Freitag seine Kritik an dem Plenarsaal formuliert. Die Rampen im vorderen Bereich seien zu steil und deswegen für Rollstuhlfahrer »kaum nutzbar«. Auch zu den mittleren Stuhlreihen werde ein Rollstuhlfahrer ohne fremde Hilfe kaum gelangen können, hieß es.

Verantwortlich sei die Fixierung auf das historische Vorbild. Denn der Landtag auf dem Potsdamer Alten Markt soll, obwohl er eine modernes Inneres erhält, einmal so gut wie möglich dem alten Potsdamer Stadtschloss ähneln. Das macht allein bei der Fassade nicht halt. Da sich die Gestaltung des Plenarsaals an den einstigen Gartensaal des Schlosses anlehne, gebe es begrenzte Möglichkeiten, ihn barrierefrei einzurichten, legte der Behindertenverband dar. Dies sei durch zusätzliche Vorgaben etwa zur Neigung des Saales und zur Anzahl und Anordnung der Stühle weiter eingeschränkt worden. Das hätte nach Meinung des Behindertenverbandes nicht sein dürfen.

Der Behindertenverband wies darauf hin, dass in verschiedenen deutschen Parlamenten Rollstuhlfahrer unter den Abgeordneten waren und sind. Auch in Brandenburg habe es schon Rollstuhlfahrer unter den Landtagsabgeordneten gegeben. Eine davon war Ingeborg Kolodzeike, die bis 2009 behindertenpolitische Sprecherin der Linksfraktion war.

Der Abgeordnete Maresch, der danach diese Funktion übernahm, glaubt nun, dass der Behindertenverband mit seiner Kritik am Plenarsaal falsch liegt. Er betont: »Nirgendwo wurden baurechtliche Vorschriften zur Barrierefreiheit missachtet.« Zu vielen Details sei immer wieder nachgedacht worden. »Als mitten in der Bauphase die DIN geändert worden ist, hat man sämtliche Anlagen nochmals überprüft und den neuen Regeln angepasst.«

Mit Genehmigung der städtischen Behörden und nach langer Debatte sei es lediglich nicht möglich gewesen, die Neigung der sechs Meter langen Rampe, mit der Rollstuhlfahrer ans Rednerpult gelangen können, von acht auf sechs Prozent abzusenken, erläutert Maresch. »Aber auch das hat man nicht einfach auf sich beruhen lassen.« Es seien Lösungen gefunden, »damit Rollstuhlfahrer unaufgefordert Hilfe bekommen«, falls der »unwahrscheinliche Fall« eintrete, dass sie das Pult oder die beiden Stenografenplätze nicht selbstständig erreichen sollten.

»Ich bin hier ziemlich betroffen darüber, dass man ein Gebäude diskreditiert, das in jeder Weise den modernsten behindertenrechtlichen Ansprüchen gerecht wird«, sagt Maresch. »Da fehlt meines Erachtens ein wenig Augenmaß in der Bewertung.«

Das Finanzministerium versichert, dass sich die Bedingungen für Behinderte im Landtagsneubau wesentlich verbessern werden gegenüber der jetzigen Situation, wo sich das Parlament in einem burgähnlichen Gemäuer auf dem Potsdamer Brauhausberg befindet. »Das Gebäude und seine demokratische Entstehungsgeschichte werden zweifellos durch diesen Preis beschädigt«, bedauerte Ministeriumssprecherin Ingrid Mattern.

Der neue Landtag soll am 21. Januar 2014 offiziell eröffnet werden. Den Negativpreis »Betonkopf« vergibt der Brandenburger Behindertenverband bereits seit 2004, um Missstände anzuprangern. 2010 ging der »Betonkopf« beispielsweise an die Stadt Lübben. Die Begründung damals: Rollstuhlfahrer konnten auch nach aufwändiger Sanierung des Schlossturms das Trauzimmer und den für Ausstellungen und Konzerte genutzten Wappensaal nicht erreichen, weil lediglich eine Wendeltreppe hinaufführt.

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