Das Mekka der Kartoffelfrucht

Kartoffelernte in den Anden, 3800 Meter über dem Meeresspiegel

Die Kartoffel zählt zu den wichtigsten Kulturpflanzen weltweit. Rund ein Drittel der Knollen werden von Kleinbauern in Entwicklungsländern geerntet. Rat erhalten sie vom Internationalen Kartoffelzentrum in Lima.

»Die Puma maki, die Pumakralle, ist eine der im andinen Hochland Perus beliebtesten Kartoffeln«, erklärt William Roca. Die bräunlich-schwarze, langgestreckte Knolle weist vier tiefe Furchen auf und erinnert an die geschlossene Pranke des Raubtiers. Vielfältige Formen wie Farben weisen die rund einhundert Kartoffelarten auf, die die Wissenschaftler des Internationalen Kartoffelzentrums (CIP) in Lima anlässlich einer wissenschaftlichen Tagung auf langen Tischen ausgestellt haben. Auberginenfarben schimmern die einen, gelb leuchten die anderen und ihre Namen stehen oftmals in Quechua, der Sprache der Inka, auf kleinen Papptäfelchen daneben. »Wir lagern die Samen von 4000 Kartoffel-, rund 1200 Süßkartoffel- und 1000 sonstiger Knollenarten am Institut«, sagt der graumelierte Wissenschaftler mit dem modischen Kinnbart. Forschung, Erhalt und Förderung der Kartoffelvielfalt ist die zentrale Aufgabe des Instituts, das in La Molina, einem Vorort der peruanischen Hauptstadt, angesiedelt ist. Anbauflächen gehören genauso wie zahlreiche Labors zum 1973 gegründeten CIP, das auch kleinere Mengen Saatgut an Gemeinden und Kleinbauern in den peruanischen Kartoffelregionen ausliefert. Die befinden sich rund um Cusco, der alten Inkastadt im Süden Perus, und in der Region von Huancayo, rund 300 Kilometer nördlich von Lima. Dort unterhält das CIP auch eine Forschungsstation und in einem der nahe gelegenen Kartoffeldörfer findet einmal jährlich im Mai eine Messe der Kartoffel statt, erklärt William Roca. Für die CIP-Spezialisten ein fester Termin, wo es immer wieder etwas zu lernen gibt über traditionelle Anbaumethoden, spirituelle Bedeutung einzelner Kartoffelarten oder deren teilweise auch medizinische Wirkung. Das Wissen der Indio-Gemeinden über die Knollenfrüchte ist vielfältig und seit kurzem wird es auch national mit einem »Tag der Kartoffel« gewürdigt und gepflegt. Traditionelle Sorten erfreuen sich steigender Beliebtheit. So finden sich im Angebot von Perus größter Supermarktkette Wong auch die papas nativas, die ursprünglichen peruanischen Arten, die im Laufe der Jahrhunderte gezüchtet wurden. Andere Formen, andere Farben und einen anderen Geschmack weisen diese Sorten auf, und am CIP beschäftigt man sich auch damit, diese traditionellen Arten zu kommerzialisieren. Die Kooperation mit der Supermarktkette ist dafür ein Beispiel, ein anderes sind die Pläne, aus nativen Kartoffeln Chips zu produzieren. »Statt in blässlichem Gelb kommen die CIP-Chips in sattem Blau, Lila oder Gelb daher - eine potenzielle Party-Attraktion«, so André Devaux vom CIP. Pläne, die die Exportperspektiven der peruanischen Bauern verbessern könnten, die derzeit mit Billigimporten konkurrieren müssen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, denn marktreif sind die bunten Chips noch nicht und im Vordergrund der CIP-Arbeit steht die Ernährungssicherung . Vor allem in den Entwicklungsländern ist der Kartoffelanbau auf dem Vormarsch. Während in den sechziger Jahren nur rund zehn Prozent der Kartoffelproduktion aus diesen Ländern stammten, sind es heute über 30 Prozent - Tendenz steigend. Um durchschnittlich drei Prozent sind die Erträge in den letzten Jahren gestiegen und die Knolle hat nicht nur aufgrund des hohen Vitamin C- und Eiweißgehalts das Potenzial, einen wesentlichen Beitrag für die Ernährungssicherheit zu leisten, bekräftigt William Roca. Ungefähr 230 Millionen Menschen ernährt der derzeitige Kartoffelertrag, so schätzt der CIP-Kartoffelspezialist. Am Institut wurden Kartoffelsorten mit kurzen Wachstumszeiten entwickelt, die eine zusätzliche Ernte ermöglichen und damit einen Beitrag zur Nahrungssicherheit liefern. Nicht nur in den Andenländern, sondern auch in Brasilien, Kuba, Kenia oder China, wo Kartoffeln und Süßkartoffeln en gros angebaut werden. Kleinbauern gehören zu den wichtigsten Kunden des CIP und die Beratung von Gemeinden im peruanischen Hochland, wo die klassischen Anbaugebiete liegen, ist Teil der Arbeit. Auch die Lieferung von Saatgut, so zum Beispiel an den Kartoffelpark von Pisac, nahe der Inkastadt Cusco, aber auch an ganz normale Indiogemeinden gehört zu den CIP-Aufgaben. »Zu kommerziellen Zwecken, etwa an Saatgutunternehmen, wird allerdings nicht geliefert«, bekräftigt Alberto Salas. Kein Wunder, denn das CIP wird durch internationale Fonds finanziert, in die zahlreiche Regierungen - unter anderem auch die deutsche - private Stiftungen und internationale Organisationen einzahlen. Kommerzielle Forschung steht deshalb auf dem Index, so der Spezialist für die aus den Anden stammende Urkartoffel. Seit rund 8000 Jahren wird sie dort angebaut, und die spanischen Eroberer brachten sie aufgrund ihrer Blütenpracht als Zierpflanze nach Europa. Erst im 19. Jahrhundert wurde sie dann großräumig als Nahrungspflanze angebaut. »141 wild vorkommende Sorten sind bekannt, und die bilden das Herz unser Genbank«, sagt Salas. Deren detaillierte Erforschung liefert wertvolle Erkenntnisse für die Bekämpfung von Krankheiten, die moderne, durch Züchtung modifizierte Sorten aufweisen. Kartoffelfäule ist bis heute eine der verbreiteten Pilzerkrankungen: Neue Kartoffelsorten, die gegen die heute bekannten Stämme des Pilzes resistent sind, wurden am CIP entwickelt. »Ohne die Rückgriffe auf die Wildsorten wäre das kaum möglich gewesen«, erklärt der kleingewachsene Wissenschaftler des CIP. Für ihn ist die Kartoffelforschung eine Investition in die Zukunft,...

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