Der »große vereinigte Schiß«

Deutsche Kriegerdenkmäler - Notizen zum Volkstrauertag

Kriegsgeschwängerte deutsche Vergangenheit. Die Neuzeit beginnt mit den Feldzügen Preußens im Rahmen einer Allianz gegen die französischen Revolutionsheere. Kriegsberichterstatter Johann Wolfgang von Goethe vermeinte, am verregneten 20. September 1792 habe mit der Schlacht von Valmy eine neue Epoche der Weltgeschichte begonnen. Die Soldaten der preußisch-österreichischen Interventionsarmee sahen das anders. Ihr Lied vom »großen vereinigten Schiß« (in acht Strophen) hatte den Refrain: »Ah! das Elend, das da liegt, /Wer weiß, was soll das heißen?/ Diese Preußen unbesiegt/ Samt den Austros haben gekriegt /Das Scheißen, das Scheißen, das Scheißen.« Wenige Jahre später holte der Krieg aus der Champagne Goethe ein. Unweit Weimar, bei Jena und Auerstedt, verflüchtigten sich sowohl die Armee als auch der Mythos Preußens.
Seitdem reißt die Kette der Kriege nicht ab: 1864 (gegen Dänemark wegen Schleswig-Holstein), 1866 (gegen Österreich für die zu schaffende deutsche Einheit), 1870/ 71 (gegen Frankreich zur Krönung des vereinigten Deutschland), Kolonialkriege in Afrika und Asien sowie die beiden Weltkriege von 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945. Der Vers aus dem Soldatenlied Anfang des 19. galt auch noch im 20. Jahrhundert: »Deine Schlachten, Alter Fritz,/ Noch immer bei uns gleißen:/ Saubre Wäsche - so ein Witz!/ Sag, wie du kurierst, potz Blitz,/ Das Scheißen, das Scheißen, das Scheißen?« - Heute stehen deutsche Soldaten wieder auf dem Balkan, demnächst auch am Hindukusch.
Bislang hinterließ jeder Krieg auch steinerne Spuren. Wer wie der Geistliche Peter Franz aus Weimar-Taubach über Kirchhöfe, Friedhöfe oder Dorfanger geht, Parkanlagen durchstreift und in Kirchen Andacht hält, der kommt unweigerlich an Tafeln, Monumenten und Inschriften vorüber, die der Kriegstoten gedenken. Darunter viele recht martialische Erinnerungsstätten mit auf den heidnischen Kriegsgott Mars bezogenen Symbolen. Welcher Sinn liegt in diesen? Nicht Trauer um die Soldaten und Fürsorge für das Leben künftiger Generationen sind in der Regel deren Botschaft, sondern deutschtümelnder Trotz. Wieder und wieder liest man: »Im Felde unbesiegt«. Immerhin: In Arenshausen auf dem Eichsfeld hat man Jahrzehnte nach der Errichtung des Denkmals aus dessen Inschrift »UNBESIEGT UND UNVERGESSEN« die ersten beiden Worte abgemeißelt (s. Foto). Die Konturen sind noch sichtbar. Es ist schwer, historische Spuren auszulöschen.
Die Zweckbestimmung des Gedenkens äußert sich in der Regel unverhüllt. Auf einer Siegessäule zu Straußfurt bei Sömmerda werden die Namen der toten Soldaten von 1864, 1866 und 1870/71 »den kommenden Geschlechtern zur Nacheiferung« angeboten. Ungeachtet aller historischen Erfahrung fordert ein nach der Vereinigung, zu Beginn der 90er Jahre wieder aufgestellter Stein in Geba, unweit Meiningen: »Dein Deutschtum schützen, sei Dir höchste Pflicht«. Das ist in tiefer Provinz deutsche Leitkultur in Reinkultur. In diesem Geist bescheinigen auch in Gössnitz (bei Altenburg) »treue Kameraden« ihren toten Mitstreitern auf einer frisch polierten Tafel: »Sie haben einen guten Kampf gekämpft«. Die Legionäre der Legion Condor in Spanien? Das Afrika-Korps in Tobruk, in der nordafrikanischen Cyrenaika? Die Panzergrenadiere in Stalingrad? Am Nordkap? Auf dem Balkan? Himmlers Waffen-SS auf nahezu allen Kriegsschauplätzen Europas? Auf sie alle ist der Spruch in der Denkmalsanlage Alach, Stadt Erfurt, gemünzt: »Und wer den Tod im Heiligen Kampfe fand/ Ruht auch in fremder Erde im Vaterland«.
Peter Franz hat, unterstützt von seiner Frau Sigrid, 1300 Kriegerdenkmäler im Thüringischen besucht und stellt sie uns in Bild und Text in einer Broschüre vor. Im Unterschied zu den Stiftern der meisten Skulpturen, Obelisken oder Tafeln und den Anstiftern der beiden Weltkriege fragte sich dieser Geistliche: In welcher Beziehung stand der millionenfache Tod deutscher Soldaten mit den Interessen und Zielen jener, die jene in die Schlacht geschickt hatten? Wie haben die Mütter, Frauen, Schwestern den Tod ihres Sohnes, Mannes und Bruders aufgenommen? Wer hat die Denkmäler entworfen, wer bezahlt und wer sie errichtet? Welche Wandlungen erfuhr der Umgang mit solchen in den vergangenen Jahrzehnten? Wie ist man z.B. in der DDR mit dieser steingewordenen Geschichte umgegangen? Der Leser ist zum Mit- und Nach-Denken über die Kriegerdenkmale im protestantisch-aufklärerisch geprägtenLandstrich zwischen Gera und Gotha, im katholischen Eichsfeld und in der Rhön sowie im reußisch-pietistisch beeinflussten Schleizer Oberland eingeladen.
Der Erste Weltkrieg erscheint auf den Denkmälern als »großer Krieg« (Langewiesen, Oberlind und andernorts), als eine Art sportlicher Wettbewerb im »Völkerringen« (Unterkatz) oder als »Krieg zum Schutz der Heimat« (Kleinvargula). Lediglich zwei Steine entdeckte Franz in Thüringen, auf denen der Erste Weltkrieg als Leid beschrieben wird: in Saalburg als »Weltkiegsleiden« und in Zoppoten als »schwere Kriegszeit«. Interessant auch: Auf keinem der Kriegerdenkmäler nach dem Ersten Weltkrieg taucht das Wort Soldaten auf. Die Rede ist von »Kameraden«, »unseren Tapferen« und in den meisten Fällen »unseren Helden«. Erst nach dem Weltkrieg Nr. 2 taucht die Benennung »Soldat« auf. Und je jünger die Denkmäler, desto häufiger werden die Soldaten auch »Opfer« genannt. Das mag in einigen Fällen stimmen, in vielen aber nicht. Auftrag und Daseinszweck des Soldaten ist das Töten. Das war im Ersten und im Zweiten Weltkrieg so und ist in jedem Krieg so. Dies kann keine begriffliche Manipulation kaschieren. Gefährlich wird es, wenn Opfer politischer und rassistischer NS-Verfolgung gemeinsam mit den Toten aliierter Bombenangriffe auf Deutschland sowie in Internierungslagern verstorbenen Tätern gedacht wird. In Oberlind gar ist an einem Denkmal für die »Gefallenen Helden« im »Großen Krieg« von 1914-1918 eine Tafel zugefügt worden: »Den Opfern Stalinistischer Willkür und Politischer Verfolgung von 1945-1989 im Kreis Sonneberg zum Gedenken«. In Angelroda (Ilmkreis) wiederum sind von den Alliierten internierte Amts- und Würdenträger der NS-Partei und des Nazistaats mit den Vertriebenen des »deutschen Ostens« zu einer »Opfermasse« verrührt. Stereotyp wird der Kampfbegriff »Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft 1933-1989« auch auf Kriegerdenkmälern in Dielsdorf (Kreis Sömmerda), Willerstedt (Weimar Land), oder in Sollstedt (Kreis Nordhausen) verwandt. Ausgeblendet wird nebenbei, dass durch mehrheitlichen Wählerwillen in Thüringen bereits seit Januar 1930 bzw. August 1932 Nazis in die Landesregierung gehievt wurden, deren Minister Frick in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet worden ist, ebenso der so genannte Reichsstatthalter und Gauleiter Thüringens, Sauckel.
Wird ein Soldat von einem Feuerstoß aus der Maschinenpistole niedergemäht, von einem Granatsplitter zerfetzt, mit seinem Flugzeug abgeschossen - dann sinkt oder fällt er zu Boden. Der Begriff des Gefallenen verdeckt, dass jener zuvor Tötender war. Peter Franz zählte und fand heraus, dass bei 100 von ihm aufgesuchten Kriegerdenkmälern bzw. Grabsteinen ein Drittel an die »Gefallenen« erinnern. Variiert und ebenfalls beschönigend ist andernorts von »im Felde« oder »im Krieg Gebliebenen« zu lesen. Als ob die verwehrte Heimkehr nur einem unglücklichem Umstande geschuldet war.
Aufschlussreich sind auch Schriftbild und Symbolik auf Kriegsdenkmälern. So haben im Nach-Wende-Thüringen Wehrmachtskameradschaften Gedenktafeln für Panzersoldaten mit altdeutscher Frakturschrift verzieren lassen, z.B. in Eisenach, Gotha und Bad Langensalza. Als Symbol dominiert das Schwert. Das christliche Kreuz ist durch das Eiserne Kreuz verdrängt. Des Weiteren »schmücken« die Monumente häufig Kanonenkugeln, Granaten, Lanzen, Gewehre, Handgranaten, Geschützrohre und weiteres Kriegsgerät sowie Helme en masse.
Freilich, nicht alle Kriegsdenkmäler in Thüringen sind martialisch und demagogisch. Einige Pfarrgemeinden, städtische und dörfliche Kommunen haben nach dem Ersten Weltkrieg die unchristliche Logik der Kriegsrechtfertigung durchbrochen und sind zu urchristlichen Werten zurückgekehrt. Davon zeugt z.B. das Denkmal des Bauhauskünstlers Richard Engelmann an der Schötener Promenade zu Apolda; es wurde, seiner »unheldischen« Aussage wegen, 1941 abgebrochen, die Bronzeplastik eingeschmolzen und zu Granathülsen umgegossen. Andere Beispiele: Auf dem städtischen Friedhof zu Suhl legt ein kriegsmüder Soldat den Helm ab, die Kirchgemeinde Bendeleben (im Kyffhäuser-Kreis) stellte »Gedanken des Friedens« aus dem Buch des Propheten Jeremia in den Mittelpunkt.
In den Jahren der DDR blieben viele Kriegerdenkmäler unangetastet, sofern sie keine Hakenkreuze oder andere eindeutigen Nazi-Symbole oder -Parolen aufwiesen. Hakenkreuze wurden selbstredend abgefräst oder abgeschraubt. Mancherorts mussten Denkmäler Neubauten weichen (z.B. auf dem Marktplatz in Artern oder beim Bau eines Dienstleistungszentrums in Apolda). In Mellenbach-Glasbach wurde das Schwert-Symbol auf dem dortigen Kriegerdenkmal durch eine aufgeschraubte Schrifttafel überdeckt: »Nie wieder imperialistischer Krieg!« Unbekannt Gebliebene haben die Tafel zerschlagen; seit 1990 droht wieder das scharfe Schwert. »Dass nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint« - diese Zeile aus der Nationalhymne der DDR findet sich dahingegen noch am Denkmal in Kleinbrembach (Kreis Sömmerda). Und in der Gemeinde Höngeda steht ein zur DDR-Zeit in Auftrag gegebener Stein mit einer Relief-Plastik, die tanzende Kinder in einem Sonnenblumenfeld zeigt und die Botschaft vermittelt: »Die Opfer zweier Weltkriege mahnen uns zu kämpfen für Frieden und Freundschaft mit allen Völkern, für das Glück unserer Kinder«.
Überzeugende Neugestaltungen sind selten. Eine sei genannt: die Stele in Bad Salzungen (Wartburg-Kreis) mit dem Ge-denkspruch des Schriftstellers Helmut Preißler: »Ihr alle, die ihr wie ich menschlich lebt, tut etwas, sorgt euch, schweigt nicht, daß nicht die Erde bebt.«.
Peter Franz: Martialische Symbole. Die Kriegerdenkmäler in Thüringen und ihre Botschaften. Hg. vom Thüringer Forum für Bildung und Wissenschaft. 160S., br., 20DM. ISBN 3-935850-04-2, auch zu bestellen über den Verein, Käthe-Ko...

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