Russland plant Gesetz gegen Neonazismus

Rechtfertigung von Faschismus soll künftig strafrechtlich verfolgt werden

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Dmitri Medwedjew, seinerzeit Russlands Präsident, hatte den Zweiten Weltkrieg vor drei Jahren als »Impfung gegen den Nationalsozialismus« bezeichnet. Doch nicht einmal Russland selbst ist »immunisiert«.

Versuche, den Nationalsozialismus zu rehabilitieren und den Faschismus zu rechtfertigen, sollen in Russland künftig strafrechtlich geahndet werden. So sieht es ein Gesetzentwurf vor, den Parlamentsvizepräsident Sergej Schelesnjak einbrachte. Die Vorlage soll rasch verabschiedet werden, sowohl die Regierungspartei Einiges Russland als auch die Duma-Opposition wollen dafür stimmen. Konkreter Anlass waren beleidigende Äußerungen von Bloggern aus der rechten Szene zum Tag des Sieges, dem 9. Mai. Sie hatten unter anderem Zweifel daran angemeldet, dass der Sieg der Sowjetunion über Hitler ein Segen für Russland war.

Zwar drängen Veteranenverbände und patriotisch eingestellte Prominente seit langem, Verunglimpfungen des Sieges strafrechtlich zu verfolgen. Doch erst 2009 forderte der heutige Verteidigungsminister Sergej Schoigu bei einem Treffen mit Kriegsteilnehmern ein entsprechendes Gesetz. Damit sollten Versuche unterbunden werden, die Rolle der Sowjetunion in der Anti-Hitler-Koalition kleinzureden und deren Anteil am Sieg über den Faschismus zu schmälern. Russland, so Schoigu, der damals Katastrophenschutzminister war, müsse die Möglichkeit haben, »seine Geschichte und die Heldentaten unserer Väter und Großväter zu schützen«. Prowestliche Politiker würden sich dann die Demontage von Siegesdenkmälern gut überlegen. Im estnischen Tallinn war das 2006 geschehen, in Georgien 2009.

Der damalige Duma-Vorsitzende Boris Gryslow versuchte sich an einem entsprechenden Gesetzentwurf. Umfragen machten deutlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung das Vorhaben unterstützt. Die Vorlage fand jedoch nicht die Billigung der Regierung, deren Chef Wladimir Putin 2009 war. Warum, ist bis heute unklar.

Intellektuelle und Bürgerrechtler sahen und sehen es als dringlicher an, die Umtriebe der russischen Neonazis zu stoppen. Ärgernis erregen vor allem die Aufmärsche von Nationalisten zum russischen Nationalfeiertag am 4. November, den der Volksmund inzwischen zum »Tag der Faschisten« umbenannt hat. Hunderte Glatzköpfe mit NS-Symbolik, die Hand zum Gruß erhoben, rotten sich aus diesem Anlass in Moskau zusammen und grölen fremdenfeindliche Parolen. Und bei Devotionalienhändlern kann man »Mein Kampf« in russischer Übersetzung erwerben.

Das Echo auf das geplante Gesetz fiel daher gemischt aus. Veteranenverbände sind »im Prinzip« dafür, tadeln in diesem Zusammenhang jedoch, dass Politik und Öffentlichkeit sich der Frontkämpfer nur noch zum Tag des Sieges erinnern. Viele haben nach wie vor Wohnungsprobleme, im Geschenkpaket, das die Regionalregierung von Jekaterinburg im Ural den Veteranen zum diesjährigen Siegestag überreichte, fanden sich sogar Fleischkonserven, deren Verfallsdatum schon abgelaufen war. Moskauer Veteranen kritisierten zudem, sie hätten bei der Militärparade am 9. Mai nur eine Statistenrolle gespielt, der Aufmarsch sei vor allem eine Werbeaktion für den Präsidenten gewesen.

Der ehemalige Duma-Abgeordnete Gennadi Gudkow, einer der Führer der Protestbewegung, behauptet gar, das geplante Gesetz gegen die Verherrlichung des Nationalsozialismus richte sich in erster Linie nicht gegen Neonazis, sondern gegen Regimekritiker. Die Regierenden wollten deutlich machen, dass sie sich jede Kritik verbitten, auch an ihren Vorgängern.

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