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Pflaumenkuchen in Potzlow
Zehn Jahre nach dem Mordprozess ist es im Dorf ruhig - die Täter kehrten nicht zurück
Potzlow liegt am Radfernweg Berlin-Usedom. Den bin ich im Sommerurlaub 2011 mit Frau und Kind gefahren. Ein paar Kilometer vor Potzlow befindet sich am Oberuckersee ein Campingplatz. An der Rezeption fiel mir ein Schild auf. Da stand sinngemäß: Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus würden hier nicht geduldet. Zu den Familien, die dort übernachteten, gehörte auch eine mit offensichtlich asiatischen Wurzeln. Allen hat es dort gefallen, ein schöner Platz.
Von Nazis weit und breit nichts zu sehen, auch in Potzlow nicht. An einer Straße wurde gebaut. Das sorgte für einen Verkehrsstau, für Lärm und Dreck. Aber ansonsten wirkte Potzlow ruhig und friedlich. In einem Landgasthof servierte der freundliche Wirt den besten Pflaumenkuchen, den ich jemals gegessen habe. Seine Schwester habe ihn gebacken, verriet der Wirt. Im Gasthof gab es auch Postkarten mit Ansichten der Umgebung zu kaufen. Ein Künstler hatte dafür die herrliche Natur fotografiert.
Ein Storchennest haben wir noch gesichtet, und ein nettes altes Mütterchen, das in Kittelschürze des Weges kam, erzählte uns, wann die Küken geschlüpft sind. Ist das alles, was von Potzlow zu berichten wäre? Leider nein. Direkt am Radweg sah ich auch einen Gedenkstein für Marinus Schöberl. Der Jugendliche wurde im Sommer 2002 grausam gequält und getötet. Die Leiche versenkten die Mörder in einer Jauchegrube.
Mit Rechtsradikalismus allein lasse sich die Tat nicht erklären, hatte Verteidiger Matthias Schöneburg einst im Zusammenhang mit dem Prozess erklärt, und damit lag der Bruder des heutigen Justizministers Volkmar Schöneburg (LINKE) vermutlich richtig. Zu dem bestialischen Mord kam es nach einem Saufgelage.
Aufschlussreich ist bis heute der Dokumentarfilm, den die rbb-Journalistin Gabi Probst drehte und der vor zehn Jahren am Tag der Urteilverkündung im Fernsehen lief. Der Film zeigt, dass der 16-jährige Marinus und seine Mörder Marco, Marcel und Sebastian einiges gemeinsam hatten. Marcel begeisterte sich wie Marinus für HipHop-Musik. Marco hatte als Kind Schwierigkeiten, sich zu artikulieren - Marinus stotterte, wenn er sich aufregte.
Marinus Schöberl bemühte sich um die Freundschaft der drei jungen Männer. Doch diese zwangen ihn unter Schlägen zu der Behauptung, er sei ein Jude. Der 16-Jährige war aber kein Jude. Offenbar suchten die Mörder irgendein Opfer für ihren Hass. Zum Vorbild für ihre Quälereien nahmen sie eine Szene aus dem Spielfilm »American History X«. In diesem Streifen lässt ein Neonazi einen Farbigen in einen Bordstein beißen und tritt ihm ins Genick. Das Gericht stufte die Angeklagten als Rechtsradikale ein. Marco war einschlägig bekannt. Er hatte bereits eine rechte Gewalttat begangen und im Knast gesessen.
Gabi Probst interviewte für ihren Dokumentarfilm den Pfarrer sowie Freunde und Verwandte des Opfers und der Täter. Das war ein Kunststück, denn viele Einwohner von Potzlow wollten mit Redakteuren damals nicht sprechen. Für Gabi Probst machten sie eine Ausnahme. Journalisten hatten das Dorf regelrecht belagert.
»Ab dem dritten Jahr nach dem Mord hat sich der Medienandrang gelegt«, erinnerte sich jetzt Peter Feike, Bürgermeister der Großgemeinde Oberuckersee, als er von der Nachrichtenagentur dpa befragt wurde. »Inzwischen läuft es in guten Bahnen. Auch privat gegen die Menschen wieder aufeinander zu.«
Im vergangenen Jahr präsentierte Daniel Abma einen Dokumentarfilm über Straftäter, die er von ihrer Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt Wriezen drei Jahre lang beobachtet hatte - einer dieser Straftäter war der Haupttäter von Potzlow. Der Mann habe sich im Gefängnis »intensiv mit seiner Tat auseinandergesetzt und einer Therapie unterzogen«, erklärte Abma nun der dpa. »In unserem Film sagt er, dass er durch die Haft und die Therapie ein anderer Mensch geworden sei.« (Im Spielfilm »American History X« rückt die Hauptfigur, der Neonazi, im Gefängnis von seiner rassistischen Verblendung ab.)
In der DDR waren die Potzlower zumeist Genossenschaftsbauern. Nach der Wende verloren viele ihren Job. Inzwischen soll es hier kaum noch Arbeitslose geben. Die Menschen sind Rentner oder leben vom Tourismus.
Wie ging es weiter auf dem Radweg nach Usedom? Neonazis haben wir auch hinter Potzlow nicht zu Gesicht bekommen, auch in Prenzlau nicht. Aber dann in der Stadt Pasewalk, da war ein Antikriegsdenkmal mit Hakenkreuzen und Naziparolen übersät. Und in einem Dorf kurz vor Torgelow pappte an jedem Lichtmast ein NPD-Aufkleber.
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