Pücklers Parkinspektor

Mit nur 25 Jahren wurde Claudius Wecke zum gärtnerischen Leiter des Branitzer Parks in Cottbus berufen

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 8 Min.
Pücklers Parkinspektor

Parkomanie - die meisten werden wahrscheinlich von dieser »Sucht« noch nie gehört haben, doch wen sie erwischt, der wird sie niemals wieder los. Fürst Hermann von Pückler-Muskau war davon befallen, und er war der Erste, der sie beschrieb: »Es ist meine Bestimmung, Oasen in Sandwüsten anzulegen.« Der Park von Bad Muskau und noch mehr der von Branitz - den der Fürst sein »Meisterwerk« nannte - zeigen, was er damit meinte.

Auch Claudius Wecke ist von der Sucht befallen. Bei ihm trat sie schon sehr früh hervor, als ihm seine Eltern im Hausgarten in Horka in der Oberlausitz ein eigenes Beet einrichteten, wo er sich im Gärtnern übte. »Zur Schuleinführung schenkten sie mir dafür einen kleinen Staketenzaun, den habe ich noch heute«, erzählt er. 19 Jahre, nachdem Claudius seinen ersten »Park« einzäunte, wurde er, gerade mal 25-jährig, zum Parkleiter von Branitz berufen. Sechs Jahre ist es jetzt her, dass er Pücklers Meisterwerk beerbte und dessen »Parkinspektor« wurde. Nun liegt es in Verantwortung des jungen Landschaftsarchitekten, es zu sanieren, zu erhalten, zu hegen und zu pflegen und an die nächste Generation weiterzugeben.

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Wecke wurde - wie sein berühmter Vorgänger - von der Natur mit vielen Talenten beschenkt. Die Eltern und seine zwei älteren Brüder spielten im Posaunenchor der Kirchengemeinde, da gab es gar keine Diskussion darüber, dass auch der Jüngste ein Blasinstrument erlernt. »Es war die Trompete, die ich aber gar nicht wollte, sondern viel lieber das Schlagzeug. Doch bald schon lernte ich das Melodieinstrument schätzen. Nicht nur, weil ich mir später mit der Trompete das Schlagzeug finanzierte, sondern auch, weil ich mir schon mit zwölf Jahren als Bestattungstrompeter ein gutes Taschengeld verdiente. Bis zum Studienbeginn habe ich rund 500 Leute unter die Erde gespielt.«

Dennoch, seine große musikalische Liebe gehörte dem Schlagzeug, das wollte er sogar zum Beruf machen. Doch Claudius scheiterte bereits an der Aufnahmeprüfung der Musikhochschule Dresden. Nicht, wegen fehlenden Talents, sondern, weil er den Professoren mit gerade mal 17 Jahren zu jung war. Sie vertrösteten ihn auf ein Jahr später. »Da war ich eingeschnappt und habe ihnen gesagt, dass ich auch gut Schlagzeug spielen kann, ohne es zu studieren.« Zwei Jahre später, als er begann, an der TU Dresden Landschaftsarchitektur zu studieren, nahm er bei den gleichen Professoren Privatunterricht, bei denen er einst zur Aufnahmeprüfung war. Bald schon versuchten sie, den begabten Schüler zu überreden, sein Studium zu schmeißen, und an die Musikhochschule zu wechseln. Doch da hatte sich Claudius längst für die Gartenkunst entschieden. »Damals wolltet Ihr mich nicht, jetzt will ich nicht mehr«, gab er ihnen einen Korb.

Musik macht der 31-Jährige noch immer. Als Duo »Aufgeweckte Gartenklänge« tritt er mit seinem Bruder Conrad, der Solotrompeter an der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz ist, bei verschiedenen Veranstaltungen auf - Conrad im feinen Dress mit der Trompete, er mit Gärtnerschürze am Schubkarrenschlagzeug und an der Gartenschlauchtrompete. »Für mich gehören Musik und Gärtnern zusammen, das Kreative, das beide verbindet, denn ohne Kreativität sind weder Musik noch Landschaftsgärtnerei zu machen.«

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Als es 2006 an die Diplomarbeit ging, kam für den Studenten nur ein Thema mit praktischem Nutzen infrage, eines, das später nicht in der Schublade verschwindet. Am liebsten wollte er über eine Anlage in seiner Oberlausitzer Heimat schreiben, deswegen rief er Cord Panning, den Direktor des Bad Muskauer Pücklerparks an. »Der empfahl dies und jenes, zwischendurch aber erwähnte er immer mal wieder den nur 15 Kilometer von Forst gelegenen Schlosspark Brody in Polen. Meinte aber, dass dieser wohl eine Nummer zu groß für mich sei«, erzählt Wecke. »Das machte mich erst richtig neugierig. Ich beschloss, mir den Park anzusehen.«

Der Tag, an dem der Student erstmals dorthin fuhr, hatte alle Register gezogen, um ihm die Sache gründlich auszureden: Es war kalt, diesig und regnete, als er in dem verfallenen Schlosshof des einst prachtvollen Standessitzes des sächsischen Premierministers Heinrich von Brühl stand, den dieser 1740 von Dresden nach Pförten, wie Brody damals hieß, verlegt hatte. »Obwohl von dem Park nichts mehr zu erkennen war, war es Liebe auf den ersten Blick. 70 Jahre hatte der im Dornröschenschlaf gelegen. Als ob er auf mich gewartet hatte. Ich wusste sofort, dass ich das machen muss«, erinnert sich Claudius. »Meine Diplombetreuerin, Prof. Dr. Erika Schmidt, eine absolute Gartendenkmalkoryphäe, ermunterte mich dazu.« Wecke kniete sich in die Arbeit, machte eine Bestandsaufnahme, sichtete alte Unterlagen und sprach mit vielen Leuten. Brody wurde gewissermaßen zu seiner Wüste, die er, wie Pückler Muskau und Branitz, wieder in ein Oase verwandeln wollte.

2007 verteidigte er die Diplomarbeit, die so gut war, dass ihm ein paar Monate später dafür auf der Insel Mainau die Sonja-Bernadotte-Medaille verliehen wurde, mit der alljährlich ein Student für absolut herausragende Arbeit auf dem Gebiet der Gartendenkmalpflege ausgezeichnet wird. »Als ich die Nachricht erhielt, hat es mich fast vom Stuhl gehauen. Zu der Zeit habe ich vergeblich versucht, einen festen Job in meinem Beruf zu finden. Statt Gärten zu gestalten, war ich Dauergast auf dem Arbeitsamt, ich lebte von Hartz IV, war drauf und dran, ein Angebot der Musikschule als Schlagzeuglehrer anzunehmen. Doch da war auch immer noch Brody, und der Traum, den Park wiederzuerwecken.«

Eine Idee, wie das zu verwirklichen sei, hatte er längst - durch Parkseminare. Anfang der 1960er Jahre in Dresden »erfunden«, arbeiten dabei Fachleute und viele interessierte Freiwillige gemeinsam daran, vernachlässigten oder vergessenen Parkanlagen neues Leben einzuhauchen. Einer der Pioniere der Parkseminare ist der frühere Leiter des Botanischen Gartens Dresden, Rudolf Schröder. Als Claudius Wecke ihn um Hilfe bat, erkannte der schnell, dass der junge Landschaftsarchitekt genauso für die Sache brennt, wie er selbst. Eine deutsch-polnische Arbeitsgruppe wurde 2008 gegründet, ein Jahr später fand das erste Parkseminar in Brody statt. Anfangs wühlten sich die zweisprachigen Teams durch dichten Wald, beim dritten Seminar vor einem Jahr, ging es schon um »Feinarbeiten«. Für diesen Oktober ist wieder eines geplant, Helfer sind herzlich willkommen.

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Dass Brody für Claudius Wecke nicht eine Nummer zu groß war, wie Cord Panning anfangs dachte, dazu bedurfte es nicht erst der Parkseminare. Gleich nach der hohen Auszeichnung der Diplomarbeit bot er ihm eine halbjährige Volontärsstelle im Fürst Pückler Park Bad Muskau an. Zuvor schon hatte das Gartennetzwerk »GartenKulturPfad - Parks und Gärten beiderseits der Neiße« eine längerfristige freiberufliche Tätigkeit ermöglicht. »Nach der Auszeichnung ging auf einmal alles ganz schnell«, erinnert sich Wecke, »zuvor war ich, wie viele andere meiner Mitstudenten, nur eine Nummer auf dem Arbeitsamt.«

Schon Wochen vor Pannings Anruf hatte Claudius Wecke davon gehört, dass die Stelle des Parkleiters in Branitz neu ausgeschrieben wird. »Gereizt hat mich das sofort, doch ich war mir ziemlich sicher, dass die mich schon deshalb nicht nehmen, weil ich erst 25 war«, erzählt er. Doch Annemarie Harzbecher, die Chefin vom GartenKulturPfad, schlug die Bedenken in den Wind: »Natürlich schicken Sie denen Ihre Bewerbung. Sie sind gut, Sie haben nichts zu verlieren.« Wecke bewarb sich trotz aller Selbstzweifel und begann bald darauf sein Volontariat.

»Als ein paar Monate später eine Einladung zum Vorstellungsgespräch kam, war ich wahnsinnig aufgeregt.« Dass der junge Mann an jenem heißen Julitag wie in Schweiß gebadet war, lag wohl nicht nur am Wetter. Da saß er auf einmal all den Chefs der großen ostdeutschen Landschaftsparks gegenüber und vielen anderen, deren Namen ihm riesigen Respekt einflößten. »Ach du Scheiße, dachte ich nur, und dann habe ich wohl drei Sätze nur Schwachsinn erzählt, bis ich mir regelrecht einredete, nichts zu verlieren zu haben.« Plötzlich lief es wie von selbst, und auf die Frage, was er als erstes täte, wenn er die Stelle bekäme, setzte Wecke zu einem längeren Vortrag an. Die Prüfer ließen ihn ausreden, auch wenn er die ihm zugemessene Zeit längst überschritten hatte. »Danach wusste ich, dass ich so schlecht nicht war, machte mir wegen meines Alters aber dennoch keine Hoffnungen. War ich doch mit großem Abstand der jüngste Bewerber.« Noch am selben Abend bekam er von Cord Panning, der auch zu den Prüfern gehörte, einen Anruf: »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie den Zuschlag bekommen.«

»Es war Wahnsinn, ich konnte es erst gar nicht fassen. Wenn ich heute darüber nachdenke, so habe ich allergrößten Respekt vor dem Mut der Verantwortlichen, einen so jungen Menschen dieses besondere Erbe Pücklers in die Hände zu legen.« Natürlich haben ihm anfangs alle besonders auf die Finger geschaut, den Respekt hat sich Claudius Wecke aber ganz schnell erarbeitet. Unter seiner Leitung ist der Branitzer Park in den vergangenen sechs Jahren aufgeblüht.

Derzeit sind Wecke und seine Mitarbeiter unter anderem dabei, den Tumulus, in dem Fürst Pückler und seine Frau Lucie begraben sind, zu sanieren, damit er auch in 100 Jahren noch fest im See steht. Wenn die Bauarbeiten abgeschlossen sind, wird die Pyramide auch wieder ihre steinerne Abdeckung erhalten, die lange als verschollen galt und jetzt wiedergefunden wurde.

Dieses Wochenende aber ruht die Arbeit. Zum Europäischen Tag der Parke findet am 25. und 26. Mai im Branitzer Park das 3. Gartenfestival statt, das dem Fürsten wohl gefallen würde. Sein Parkinspektor Wecke führt nicht nur im historisch angemessenen Gewand Gäste durch Pücklers Meisterwerk, sondern sorgt mit Bruder Conrad auch für »Aufgeweckte Gartenklänge«.

www.gartenfestival-branitz.de

Brody und Parkseminare:

pfoerten.wordpress.com

Von der Spitze des Tumulus in Form einer Seepyramide (Foto unten) hat Claudius Wecke einen guten Überblick über den Branitzer Park.
Von der Spitze des Tumulus in Form einer Seepyramide (Foto unten) hat Claudius Wecke einen guten Überblick über den Branitzer Park.
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