Demonstrieren und Tee trinken

Die Mieterinitiative Kotti&Co feiert ein Jahr Gecekondu - und ihre Erfolge im Kleinen und Großen

  • Malene Gürgen
  • Lesedauer: 4 Min.

Da steht es. Im Herzen Kreuzbergs, bei Sonne, Schnee und Dauerregen, seit genau einem Jahr: Das Gecekondu - türkisch für ein über Nacht gebautes Haus, das nicht mehr abgerissen werden darf. Am Anfang war es eher ein Bretterverschlag, mittlerweile ist es wohnlich geworden in der Hütte am Kottbusser Tor. Es gibt Kaffee und Tee für die Besucher, die Wände sind voll mit Zeitungsausschnitten und Fotos. »Schau hier«, sagt Ahmet Tuncer und zeigt auf eine Collage an der Wand, »wenn du genau hinschaust, kannst du hier alle Fragen und alle Antworten finden.« Die Collage besteht aus Bildern von Menschen, die Transparente hochhalten, zusammen Tee trinken, lachend vor dem Gecekondu stehen: Sie alle sind Kotti&Co, dieses außergewöhnliche Projekt, das mittlerweile schon Besuch von Mieterinitiativen aus Südamerika bekommt.

»Wir machen einfach immer weiter«, sagt Ahmet Tuncer. Er wohnt seit 44 Jahren am Kottbusser Tor, gemeinsam mit seiner Frau und vier Töchtern, seine beiden Schwestern leben im Nachbarhaus. 2007 habe es angefangen mit den Mieterhöhungen, sagt er, ständig kamen neue. 2011 war dann klar: »Es kann sich hier nicht jeder für sich durchschlagen, sondern wir müssen uns zusammentun«. Es gab erste Treffen der Mieter in den umliegenden Wohnblocks, auch Tuncer war dabei, wenn auch eher skeptisch: »Ich habe denen gesagt, auch meinen Schwestern, ihr träumt doch, hier wird sich nichts ändern.« Aber sie hätten nicht auf ihn gehört, erzählt er lachend. Eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit waren da dann plötzlich Paletten und Zelte aufgebaut: Der Gecekondu stand. »Tja, dann bin ich natürlich auch mit reingerutscht, das war einfach ansteckend.« Wenn Tuncer jetzt über die Umbaumaßnahmen am Gecekondu redet, wie er hier noch was verbessern und dort was verschönern möchte, merkt man schnell, wie wichtig ihm dieser Ort ist.

Denn Kotti&Co ist längst mehr als nur ein kurzfristiger Protest gegen Mieterhöhungen: Das Gecekondu ist ein Nachbarschaftszentrum geworden, in dem Menschen sich kennenlernen, austauschen, gegenseitig helfen und organisieren. Es gibt Film- und Diskussionsabende, Nachhilfeangebote und Türkischunterricht. Und noch etwas ist hier besonders: Das Sagen haben ganz klar die Frauen. »Sie sind unsere Helden«, sagt Tuncer, »ohne die Frauen geht hier gar nichts«.

Weiterhin kommen neue Leute dazu. »Die meisten wollen sich das nur mal anschauen, aber dann drängen wir sie ein bisschen, doch gleich eine Schicht zu übernehmen - und wenn sie das einmal gemacht haben, kommen sie immer wieder, sagt Tuncer. So war es auch bei Leo, der an der HU Sozialwissenschaften studiert und im Herbst mit seinen Mitbewohnern in einen der Wohnblöcke am Kottbusser Tor gezogen ist. »Wir hatten am Anfang Angst, dass wir als Studis hier vielleicht ein bisschen zum Feindbild werden könnten«, erzählt er. Auch deshalb schaute er im Dezember bei Kotti&Co vorbei, um sich vorzustellen und die Nachbarn kennenzulernen. »Dann hab ich auch gleich eine Schicht bekommen, und seitdem mache ich das so oft wie möglich«, sagt er. Wenn er jetzt durch das Haus läuft, in dem er wohnt, gebe es selten weniger als drei spontane Einladungen zum Tee - von Feindbild also keine Spur.

Als die Initiative in der Nachbarschaft Fragebögen zu den Mietverhältnissen verteilte, war ihnen klar, dass das Ergebnis nicht besonders beruhigend ausfallen würde. Doch die tatsächlichen Zahlen waren dann noch viel erschreckender als erwartet: Über die Hälfte der 130 Befragten gab an, mehr als die Hälfte des monatlichen Einkommens für die Miete auszugeben, gut jedem Dritten bleiben dadurch im Monat weniger als 200 Euro. Denn der Regelsatz für die Kosten der Unterkunft, die das Jobcenter übernimmt, liegt bei 4,91 Euro pro Quadratmeter - in vielen Wohnungen in den Sozialbauten am Kottbusser Tor ist die Miete mittlerweile aber auf sechs Euro gestiegen. Die Differenz muss dann also aus dem Regelsatz von 382 Euro bezahlt werden, da bleibt am Ende nicht mehr viel zum Leben.

Einen Erfolg konnte die Initiative im Dezember verbuchen: Bausenator Michael Müller kündigte an, die Mieten von 35 000 Sozialwohnungen auf 5,50 Euro pro Quadratmeter zu begrenzen - die Miete in Sozialwohnungen zu deckeln, war von Anfang an eine der Hauptforderungen von Kotti&Co. So ganz eingelöst hat Müller das Versprechen allerdings nicht: Die vorgesehene Mieterhöhung zum 1. April wurde zwar für diejenigen Sozialwohnungen ausgesetzt, in denen die Miete schon vorher über 5,50 Euro pro Quadratmeter lag. Eine Absenkung ist das aber nicht: Wer vorher bereits sechs Euro zahlte, tut das auch weiterhin. Von den vier Euro pro Quadratmeter, wie sie Kotti&Co für Sozialwohnungen fordert, ist schon mal gar nicht die Rede.

Es gibt also noch viel zu tun für Kotti&Co. Die Stimmung ist aber auch nach einem Jahr ungebrochen gut: Gerade erst hat sich eine Jugendgruppe gegründet und auch schon ihre erste Lärmdemo organisiert. Das ist typisch für die Initiative: Einfach machen, lautet offenbar die Devise, und zwar gleichermaßen für Anfänger wie für alte Hasen. Am 1. Juni wird jetzt erst mal gefeiert: Ab 12 Uhr in einem großen Straßenfest, mit Konzerten, Kinderspielen und Essen - natürlich rund um das Gecekondu.

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