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Etwas ausländerfeindlich

Der marokkanische Asylbewerber Belaid Baylal gilt noch immer nicht als Naziopfer

  • Jürgen Reents
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor 20 Jahren, am 8. Mai 1993, wurde in Belzig der marokkanische Asylbewerber Belaid Baylal von zwei rechte Skinheads in einer Gaststätte rassistisch beschimpft und zusammengeschlagen. Sein Tod sieben Jahre später war nach ärztlichem Attest eine Spätfolge der schweren inneren Verletzungen, die er dabei erlitt. Das rbb-Inforadio erinnerte jetzt an diesen Fall als einen von vielen, bei denen die Opfer rechtsextremer Gewalt nach wie vor nicht als solche anerkannt sind. Der Haupttäter wurde 1994 zu einer Bewährungsstrafe von fünf Monaten verurteilt, der Mittäter zu gemeinnütziger Arbeit und einer Geldbuße.

Inforadio interviewte auch den früheren Bürgermeister Peter Kiep (SPD). Dieser sagte, dass er erst acht Jahre später von der Tat erfahren habe, und war rückblickend empört, dass er weder von der Polizei noch von anderen Behörden Hinweise auf einen möglichen rechtsradikalen Hintergrund erhalten habe. »Da kriegt man natürlich Schockzustände. Dass in meiner Stadt solche Dinge überhaupt möglich waren und wir nichts davon erfahren haben.«

Kiep selbst wusste nichts von rechtsradikaler Aggressivität in seinem Ort: »Sicher gab's auch hier und da mal ein bisschen Gerangel von jungen Leuten untereinander und mit den angeblich Rechtsradikalen. Ich bin mit dem Wort immer etwas zurückhaltend. Das ist eine politische Gesinnung, die in dem Alter noch nicht einmal ausgereift ist.« Es habe wohl Leute gegeben, die »etwas ausländerfeindlich« waren, aber das habe er »alles immer als normal« empfunden. Man müsse sich an die Zeit zu Beginn der 1990er Jahre erinnern: »Plötzlich sieht man schwarz gefärbte Menschen, die in dieser Stadt früher nicht heimisch waren. Natürlich ist man erst mal skeptisch und zurückhaltend und fragt: Was sind das für welche? Wo kommen die her? Was machen die hier? Das war gesundes Misstrauen, mehr nicht.« Leider haben die rbb-Kollegen nicht nachgefragt, was denn so »gesund« gewesen sei an diesem Misstrauen.

Peter Kiep war 18 Jahre lang Bürgermeister in Belzig, von 1990 bis 2008 - also auch zum Zeitpunkt des rassistischen Überfalls in der Gaststätte 1993. Bad Belzig hat rund 11 000 Einwohner. Das örtliche Adressverzeichnis weist 20 Gaststätten aus. Vielleicht sind einige auch nicht erfasst, vielleicht existieren manche, die es vor 20 Jahren gab, auch nicht mehr. Sollten rassistische Überfälle in den hiesigen Gaststätten nicht so außergewöhnlich gewesen sein, dass jemand, der seit seiner Geburt in dem Ort lebt und dessen »erster frei gewählter Bürgermeister« war, von dieser einen Tat acht Jahre lang nichts wusste? Man will es nicht glauben - aber dann kann man Peter Kiep eigentlich nicht glauben.

Im August 2012 wurde Kiep mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Es wurde ihm von Sozialminister Günter Baaske (SPD) mit den Worten überreicht: »Sein Handeln war von einer hohen sozialen Verantwortung sowie Elan und Tatkraft geprägt.« Vier Jahre zuvor wurde Kiep von der Landesregierung, für seinen »Einsatz für ein tolerantes Miteinander« gewürdigt. Er gilt in seiner Stadt als beliebt. Es müssen wohl viele sein, denen es »normal« und »gesund« erscheint, wenn manche »etwas ausländerfeindlich« sind. Zu viele, und wohl nicht nur in Bad Belzig und in Brandenburg.

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