Deutschland unterm Betonsiegel

NABU fordert Neuorientierung in der Siedlungsentwicklung

  • Regine Auster
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Rund 130 Hektar Boden werden in Deutschland täglich durch Straßenbau, neue Siedlungen oder Gewerbe »in Anspruch« genommen. Doch Boden ist eine endliche Ressource. »Flächen intelligent nutzen«, fordert deshalb der Naturschutzbund Deutschland.

Auf einer Fachtagung Mitte November in Erfurt wurden dazu erste Ideen debattiert. Ein täglicher Schwund von 130 Hektar entspricht der Fläche von etwa 200 Fussballfeldern oder - aufs Jahr umgerechnet - fast der ganzen Fläche des Bodensees. Die Gründe für den Schwund kann jeder im täglichen Leben sehen. Die Länge des Straßennetzes hat sich in der Bundesrepublik in den letzten 40 Jahren verdoppelt. Der durchschnittlich zur Verfügung stehende Wohnraum stieg von 15 auf 38 Quadratmeter pro Kopf. 12 Prozent beträgt derzeit der Anteil der Siedlungsfläche in Deutschland - Tendenz steigend. Zwar verschwindet »nur« etwa die Hälfte der 130 Hektar tatsächlich unter Beton und Asphalt. Doch die Flächenverluste und die damit einhergehende Zerschneidung der Landschaft sind eine wesentliche Ursache für den Artenrückgang. So stieg die Zahl der Naturschutzgebiete zwar von 100 im Jahr 1945 auf derzeit etwa 5000 an, doch diesem »Flickenteppich« fehlt oft die Vernetzung untereinander. Auch international wächst der Problemdruck. Weltweit ist eine langsame, aber massive Zerstörung von Böden zu beobachten. Dennoch, so wurde auf der Tagung kritisch angemerkt, wird dem Faktor Bodenzerstörung gegenwärtig nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Angesichts der alarmierenden Entwikklung fordert der NABU nun eine Neuorientierung in der Siedlungsentwicklung. »Wir brauchen keine neuen Wohnsiedlungen oder Industriegebiete auf bislang unerschlossenen Flächen, sondern die konsequente Nutzung bereits bestehender Areale«, so NABU-Präsident Jochen Flasbarth. Spätestens 2010 müsse die Neuversiegelung von Flächen beendet werden. Der NABU hofft vor allem mit Hilfe der Steuer- und Finanzpolitik, eine zukunftsfähige Siedlungsentwicklung durchsetzen zu können. Außerdem solle die Regionalplanung erweiterte Handlungsspielräume erhalten, denn inzwischen weise »fast jedes zweite Dörflein sein eigenes Gewerbegebiet aus«. Aber auch vor unpopulären Vorschlägen wie der Streichung der Entfernungspauschale für Pkw und der Umstrukturierung der Eigenheimförderung schreckt der NABU nicht zurück. Auf die Dringlichkeit des Bodenschutzes verwies auch der Präsident des Umweltbundesamtes, Andreas Troge. Viele Behörden würden seit Jahren progressiv auf diesem Gebiet tätig sein, was bisher fehlte, seien öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wie die jetzt gestartete NABU-Kampagne »Nachbar Natur«. Troge verwies darauf, dass, die aufgelockerten Siedlungsstrukturen an den Stadträndern zwangsläufig ein Anwachsen des Verkehrs nach sich zögen, während kompakte, flächensparende Siedlungsstrukturen den öffentlichen Personen-Nahverkehr begünstigten. Solange es nicht gelänge, den Flächenverbrauch zu verringern, werde auch wirksamer Artenschutz nicht erreichbar sein, so das Fazit von Troge. Dennoch scheint es nicht ganz leicht, das »Bauland-Paradox« vieler Gemeinden aufzulösen. Angesichts knapper Kassen konkurrieren sie um Einwohner und Gewerbesteuern. Die Ausweisung immer wieder neuer Flächen an den Ortsrändern ist die Folge. Um das Siedlungswachstum zu stoppen, scheinen neben einer möglichen Grundsteuer-Reform, für die das Deutsche Institut für Urbanistik Modellrechnungen vorstellte, auch andere ökonomische Anreize sinnvoll zu sein, so eine Neuversiegelungs- oder Bodenschutzabgabe. Die finanzielle Förderung von Entsiegelung und Altlastensanierung, handelbare Flächenausweisrechte oder Änderungen des kommunalen Finanzausgleichs - so die »Belohnung« autofreien Wohnens - sind weitere Instrumente, die vorgestellt wurden. Nicht zuletzt können Flächen auch durch intelligentere architektonische Lösungen »gespart« werden, so durch die günstigere Aufteilung von Gewerbegebieten oder die Errichtung mehretagiger Gewerbebauten. Selbstkritisch wurde auf der Tagung angemerkt, dass die Siedlungsentwicklung im Naturschutz viel zu lange eine »vergessene Debatte« gewesen sei. Hier hat die Entwicklung der Stadtökologie seit den 70er Jahren zu einem eigenständigen Zweigbereich der Biologie sicherlich zu einem Umdenken beigetragen. In vielen Städten und Dörfern werden inzwischen Biotopkartierungen durchgeführt. Doch könnten die Forderungen nach Innenverdichtung einerseits und dem Erhalt großer Grünflächen in den Siedlungen andererseits nicht selbst zum »Zielparadox« für den Naturschutz werden? Eckhard Jedicke von der Universität Karlsruhe verwies mit Nachdruck darauf, dass eine Nachverdichtung sinnvoll sei, gleichzeitig aber Mindestkriterien für die Grünausstattung in Siedlungsräumen eingehalten werden müssten. Vor allem für Kinder sei es wichtig, unreglementierte Freiräume zu sichern, die gleichzeitig Naturbeobachtungen und -erlebnisse ermöglichen. Leider gingen die Vorträge der Tagung, sofern sie auf die Siedlungsentwicklung bis 1990 Bezug nahmen, nur auf das Gebiet der alten Bundesländer ein. Statistische Angaben für die neuen Länder lägen nicht vor oder seien nicht vergleichbar, so die Begründung. Schade, denn ein gesamtdeutscher Blick zurück, den man nach elf Jahren Einheit erwarten könnte, hätte deutlich gemacht, dass die wesentlich geringere Zersiedlung im Osten bis 1990unter anderem darauf beruhte, dass es in der DDR seit den 60er Jahren gesetzliche Bodenschutz-Regelungen gab. Diese dienten insbesondere auch dem Schutz des land- und forstwirtschaftlich genutzten Bodens vor Bebauung. Im Rahmen der Kampagne »Nachbar Natur« sollen die Bürger auch ermuntert werden, etwas für den Naturschutz vor der Haustür zu tun. Ausgelobt werden Preise für den besten naturnahen »Traumgarten« sowie für umweltfreundlic...

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