Was denn, die Merkel?

Wenn Schriftsteller Feuilleton betreiben - »Schund und Segen« von Georg Klein

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer schreibt, lädt den Leser in Räume. Der eine Schreibende bittet in Problemräume, der andere in Entspannungsräume. Der eine will Lesers Kopf belasten, der andere will Lesers Gemüt streicheln. Der Leser reagiert darauf und wendet sich diesem Schreiber zu, von jenem ab. Und er verteilt Zeugnisse, der Leser. Es gibt dabei immer eine spezielle, gut gemeinte Streicheleinheit, die aber im Grunde - vernichtet: Ein Text sei »objektiv«. Meine betende Solidarität mit allen Schreibenden: Keinem möge das Urteil zugemutet werden, er schreibe »objektiv«. Denn mit dieser Bewertung umschreibt ein Leser doch auch bloß Textwirkungen, die ihm guttun. Indem sie nicht wehtun. Eine Art Pflegedienst also. Wie Salbe, die unter die Haut geht, ohne dass man aus der Haut fahren muss. Einladung in besagte Entspannungsräume.

Aber nichts an Meinung, Erinnerung, Feststellung, Wertung, Information ist - objektiv. Eine der Erfindungen gegen diesen Anschein von Objektivität ist - das Feuilleton. Es sagt am bedenkenfreiesten »ich« und scheidet mit Lust Geister. »Ich möchte nicht schreiben, um zu gefallen und auszutarieren - ich träume von der Macht eines Mückenstichs: ich möchte pieken. Wer nicht piekt, hat zwar auch recht. Aber ich finde ihn langweilig.« Alfred Polgar. »Eigensinn, der nicht zum Eigensinn der Sprache führt, ist keiner. Ich wäre ein schlechter Journalist, wäre ich in diesem Sinne nicht neidisch auf die Dichter.«

Denn, so Polgar, das Debakel seines Talents bestehe in der hochgeschraubten Freude über einen Band gesammelter Essays und Kritiken - wo sich dagegen wahre Schriftsteller für eine Publikation ihrer Essays einfach nur herabließen. In gesammelten Zeitungstexten erhebe sich der Publizist noch lange nicht zum Schriftsteller; in gesammelten Zeitungstexten sinke der Schriftsteller dagegen noch lange nicht zum Publizisten herab. Just dies macht den Unterschied.

»Abverlangte Texte« nennt der Romancier Georg Klein eine Sammlung von 77 Zeitungsartikeln, und wo der angestellte Feuilletonist täglich beflissen rackert, um unter Nennung seines Namens irgendwie auffällig sein zu dürfen, da betont der Schriftsteller den gewissen Druck, unter dem er sich schließlich doch hin und wieder zum Journalismus hingab. Und dabei ganz und gar ein Sprachkräftiger bleibt!

Im Sinnen über eine Ausstellung von David Lynch bedenkt Klein unsere generell brüchige Fähigkeit, im modernen Rauschen der Bilder noch wirkliche Wahrnehmungskraft aufzubringen. An Michael Jackson bewundert er die Genialität zweier Kinderaugen, sich zum rechten tödlichen Moment vor jenem lügnerisch monströsen, mythisch betonierten Bild zu verschließen, mit dem der mediale Totalitarismus diesen »großartigen Performer« vernichten wollte - indem er ihn in eine immer bösere Körperlosigkeit lockte. Wenn Klein über Mick Jagger schreibt, der habe von Platte zu Platte, von Tournee zu Tournee sein Seil des Zirkustänzers »ein wenig tiefer gehängt«, so schreibt er gleichnisstark über einen Zauberer, der seiner Verwitterung dennoch die Aura bewahrt habe. »Wahrlich, wer sein Gott-Sein dergestalt überlebt hat, hat weiterhin gut grinsen.«

Ein Pop-Aufsatz? Ein Aufsatz darüber, wie sich die Menschheit teilt: in Leute, denen der Charakter das Alter wundersam hinausschiebt, und in Leute, die nicht damit klarkommen, dass ihre Zeit vorbei ist, Leute, die sich selber als Abgehalfterte entblößen, indem sie ihr altes Zaumzeug auf den gesellschaftlichen Flohmärkten der eingebildeten Restauration präsentieren.

Kleins in sieben Kapitel eingeteilte Aufsätze, ob über Literatur oder Politik, ob Zeitungstexte über Udo Lindenberg oder Edgar Allan Poe, Amokläufe oder Nine Eleven, sie sind - wie soll man›s einfach sagen?! - fulminante Assoziationsabenteuer gegen einfache Satzanfänge des festgelegten Geistes, Satzanfänge wie etwa: »Ich habe schon immer ...«, »Ich weiß aus Erfahrung genau ...«, »Ich bin zutiefst überzeugt ...«, »Ich denke, jetzt muss endlich ...«, »Die Geschichte lehrt unverrückbar ...«, »Unbestreitbar steht doch fest, dass ...«

Klein rezensiert und bleibt Erzähler, er analysiert und bleibt fabulierend. Wenn er über Gustav Schwabs Sagensammlung nachdenkt und den Zyklopen Polyphem aufruft, so ruft er den Verdacht auf, dass in jeder (jeder!) Stärke etwas Frevelhaftes mitschwingt. »Und wir ahnen, welche Worte den medialen Kommentatoren fehlen, wenn heute auf dem Bildschirm das Frevelhafte zum Himmel schreit.«

Und wenn Klein über Angela Merkel feuilletoniert, entsteht ein Text über das »innig feste Bild« dieser Politikerin in der Öffentlichkeit, ein Text über ihre Redlichkeit, ihren Humor, ihre Larven-losigkeit, ihre Glaubwürdigkeit, ihre Beständigkeit, ein Essay darüber, »wie zukunftsreich sie wirkt«. Alles Attribute, die ihre Gegner sofort in Rage versetzen. Klein weiß das, aber er geht bestechend seiner Lust nach, breitgekauten Beurteilungen und polemischen Stanzen seine Gegenteilslust beizustellen. Fazit: »Erst wenn ihr wahrer Gegner, die bundesdeutsche Variante des großen populistischen Polit-Clowns, in die Arena unserer Gegenwart klettert, werden wir in freudig klarem Schreck erkennen können, was wir am festen Bild Angela Merkels haben.«

Geschrieben 2009. Und wie gesagt: keine aktuelle Anleitung fürs Kreuz der Wahlentscheidung, sondern ein anregend einseitiger, gegen das Allgemein-Gerede querschießender Text, absolut nicht objektiv, sondern freudig pikend. Vom Genuss des Autors erzählend, bekannte Gegenstände in ein anderes Licht zu rücken, bestätigt thronende Wahrheiten mit Schmäh zu reizen und der eigenen Empfindung rücksichtsloses Bekenntnis zu gestatten. Im brillanten Feuille-Ton.

Georg Klein: Schund und Segen. Siebenundsiebzig abverlangte Texte. Rowohlt Verlag, Reinbek. 432 S., geb., 22,95 Euro.

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