Im Reich der Raupe

Die Gartenschau in Hamburg zeigt viel Blütenpracht, insgesamt ist sie aber eine verpasste Chance

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Hohe Preise, oft schlechtes Wetter, wenige Besucher, miese Stimmung - die Internationale Gartenschau (igs) in Hamburg hat nicht den besten Ruf. Zu Recht? Ein Rundgang über das 20 Hektar große Gelände im Stadtteil Wilhelmsburg.

23 Grad, bedeckt, manchmal lässt sich die Sonne blicken. Optimale Bedingungen für eine Fußreise »in 80 Gärten um die Welt«. Und die ist 50 000 Quadratmeter groß. Wer mit dem Auto kommt, ist schon vom Marsch von einem der kilometerweit entfernt liegenden Parkplätze an der Dratelnstraße oder am Reiherstieg aus der Puste. Da hätten sich die Veranstalter eine intelligentere Lösung - etwa einen Pendelverkehr mit bunt bemalten Kleinbussen - einfallen lassen sollen.

Im Maß der Container

Die mit Rhododendren bestückten Beete in der Nähe des Haupteingangs scheinen alle Vorurteile zu bestätigen. Die konventionelle Bepflanzung will niemand sehen, nur einige Wespen summen um blau-blühende Blümchen an den Beeträndern herum. Also, weiter zur »Welt der Häfen« - ein Tribut an die Handelsmetropole Hamburg. Blumen in vielen Farben, angelegt im Maß der das Hafenbild prägenden 40-Fuß-Container, erfreuen das Auge. Die der Stadt Shanghai gewidmete Fläche zeigt einen Ruhegarten, eingefasst von einer Bambushecke. Wer mehr wissen möchte, als das Auge erkennt, öffnet einen Kasten, in dem sich Flyer mit Informationen befinden.

Das Ticket für die Einschienenbahn, die stoisch über das Gelände tuckert, kostet 7,50 Euro - zusätzlich zur normalen 21-Euro-Tageskarte. Die »schnellste Raupe Wilhelmsburgs« gleitet auf bis zu sechs Meter hohen Stelzen über den 3,4 Kilometer langen Rundkurs, macht unterwegs dreimal Halt - eine gute Alternative für Senioren und Kinder, die vor dem 6,5 Kilometer langen Fußmarsch durch die insgesamt sieben Erlebniswelten zurückschrecken. Ich mache am »Bahnhof Süd« Zwischenstation, um die »Welt der Kontinente« und die »Lebendigen Kulturlandschaften« Norddeutschlands zu erkunden: Pinneberger Baumschulland, Lüneburger Heide, schleswig-holsteinische Knicklandschaft. Direkt hinterm Knick haben es sich fünf Senioren aus Harburg an einem großen Holztisch gemütlich gemacht. Würstchen, Kartoffelsalat, Obst und zwei Kannen Kaffee haben die Besucher mitgebracht.

»Wir hatten gehört, dass das Essen hier sehr teuer ist, auch die Eintrittspreise sind happig«, sagt Rüdiger Wichmann. Außerdem werde für die Bahn und den Besuch der Internationalen Bauausstellung (IBA), die parallel zur igs läuft, extra kassiert, ärgert der Rentner sich. »Dafür bekommst du aber einen Stempel«, scherzt eine Begleiterin.

Marianne Neubert vom Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU) kann darüber nicht lachen: »Die Gartenschau ist neben der IBA das zweite Prestigeprogramm des Senats, das Millionen in eine Show statt in den Erhalt gewachsener lokaler Strukturen, Grünflächen und günstiger Wohnungen steckt.« Der Zaun und die Eintrittspreise der igs setzten ein klares Zeichen der Ausgrenzung für Bewohner im Viertel.

Der Kritik folgten Reaktionen aus der Politik. So hat sich der Fraktionschef der Hamburger Grünen, Jens Kerstan, der von der LINKEN bereits im April in einem Antrag formulierten Forderung angeschlossen, die Eintrittspreise zu reduzieren.

Und wieder ab in die Riesenraupe. Vorbei an Klettergeräten, am »Interkulturellen Kiosk«, Wald und Wiesen der Wilhelmsburger Feldmark und Tümpeln. »Zur igs sind 20 Hektar Naturschutzflächen entstanden oder renaturiert worden«, erklärt die helle Frauenstimme vom Tonband, Nachhaltigkeit sei wichtig. Dass für die Gartenschau knapp 5000 Bäume gefällt und riesige Flächen fürs Parken versiegelt wurden, erfahren die Besucher nicht.

Leere Zelte

Wegen jener umstrittenen Maßnahmen ist die igs für den AKU auch keine »harmlose Blümchenschau«, sondern »Naturzerstörung« pur. »Noch 2008 beschwichtigte igs-Chef Heiner Baumgarten, der noch dazu Vorsitzender des Umweltverbandes BUND Niedersachsen ist, dass nur ›in Ausnahmefällen (…) ein Baum gefällt‹ werde. Vier Jahre später stellte sich heraus, dass es wohl Tausende Ausnahmefälle gegeben haben muss«, wettert AKU-Sprecher Robert Albrecht.

Wer in eines der riesigen Gastronomie-Zelte einkehrt, stößt auf gähnende Leere. Die Preise sind happig. Ein selbstgezapfter Espresso kostet 2,80 Euro und schmeckt nicht so gut wie beim Italiener. Franzbrötchen: 3 Euro. Der Blechkuchen ist matschig - Discounterware? Eine Seniorin ist mit ihrer Schwiegertochter zu Gast und ärgert sich über lauwarme Blätterteigtaschen mit Gemüsefüllung und Salat: »Die Dinger werden über den ganzen Tag in einem Behälter warm gehalten.« Eike Falk, der im Souvenirshop arbeitet, bemängelt zudem die »miserable PR« und die schlechte Beschilderung: »Schade. Aber das Gelände ist schön geworden.«

Punkten kann die igs dagegen mit ihrem Angebot und der Blütenpracht bei älteren Besuchern, die das Bild der Schau prägen. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele Arten von Rosen gibt«, schwärmen Detlev und Irene Andresen aus dem schleswig-holsteinischen Reinfeld. Auch Ernst-August Willenbockel, Landwirt im Ruhestand aus dem Landkreis Lüneburg, findet die Beete »wunderschön«. Dass nicht alles auf einmal blühen kann, sei jedem klar, der mit der Natur lebe, sagt seine Frau Inga: »Wer das bemängelt, hat im Biologie-Unterricht geschlafen.«

Die gute Nachricht zum Schluss: Den Wilhelmsburgern bleibt das Ausstellungsgelände nach dem Ende der igs erhalten. Und für die »Sport-Angebote in attraktiven Grünräumen« (igs-Chef Baumgarten) wie Joggen, Skaten oder Radfahren braucht dann niemand mehr zu zahlen.

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