Gemeinsames Leid verbindet

Die dunkle Seite der 100. Tour de France: magnetische Anziehungskraft auf Diebe

  • Lesedauer: 3 Min.
Die üblichen Schwierigkeiten für Tourreporter bei der Frankreich-Rundfahrt werden bei der Jubiläumsausgabe maßlos übertroffen.

Treffen sich zwei bei der Tour de France Akkreditierte in der Wäscheabteilung eines Kaufhauses. Der eine wühlt im Unterwäschefach, die andere mustert T-Shirts. Das Akkreditierungskärtchen, das beiden vor der Brust baumelt, ist - verbunden mit dem für Tourreporter eher ungewöhnlichen Ort - ausreichender Anlass für eine Kontaktaufnahme.

»Wie geht’s denn so?«, fragt man sich gegenseitig. »Mir hat man das Auto aufgebrochen und alle Sachen rausgeklaut«, sagt der Mann. »Mir haben sie gleich das ganze Auto mit allen Sachen drin gestohlen«, sagt die Frau. Jetzt müssen beide lachen - und alle, denen sie diese Geschichte erzählen, ebenfalls. Gemeinsames Leid verbindet. Die Erkenntnis, dass es einen selbst auch hätte treffen können, ebenfalls.

Bei dieser Tour de France ist es mehreren Journalisten so ergangen wie diesem deutschen Reporter und seiner Luxemburger Kollegin. Manche Fahrzeuge wurden nahe der Strecke aufgebrochen, andere sogar auf dem bewachten Presseparkplatz, das der Luxemburgerin abends vor einem Restaurant. Es scheint, als ob die Akkreditierungsaufkleber an den Frontscheiben magnetische Anziehungskraft auf Autodiebe ausübten.

Damit wurden die üblichen Leiden der Journalisten bei einer solchen dreiwöchigen Tour, die wegen all der Überführungen und Fahrten von und zu den eigenen Hotels sowie den Teamhotels meist 5000 bis 6000 Kilometer lang ist (im Gegensatz zum jeweils um die 3500 km langen Rennparcours), maßlos übertroffen. Sonst plagt man sich nur mit Autos herum, die unterwegs kaputt gehen und dann von hilfsbereiten Schraubern auf dem Land notdürftig wieder flottgemacht werden. Oder mit Rechnern, die ihren Geist aufgeben und von niemandem mehr provisorisch in Betrieb gesetzt werden können. Beständig auch mit Hotelpersonal, das lange gemachte Reservierungen in ihren Büchern partout nicht finden will - was dann zu spontanen Solidarisierungen führt, indem Kollegen, die bisher jahrelang nur Stuhl an Stuhl im Pressezentrum gesessen haben, für eine Nacht dann auch ein Doppelbett teilen.

Völlig routiniert steckt man dagegen den Ärger mit einer Tour de France-Organisation weg, die mit dem temporären Entzug der Akkreditierung droht, wenn man in der Eile mal einen Zaun überspringt oder das Tempolimit auf der Strecke so großzügig auslegt wie die Fahrzeuge der Tourorganisatoren selbst.

Die Jubiläumstour indes bot eine Steigerung in dieser Erlebnisklasse. Neben dem Autoklau mussten manche Kollegen auf Korsika auch die Erfahrung machen, während eines Zieleinlaufs auf dem zum Pressezentrum umgewandelten Fährschiff festzuhängen, weil das Shuttleboot nicht pünktlich kam.

Die 100. Tour de France wird also auch der schreibenden Zunft sehr stark in Erinnerung bleiben - und das ganz unabhängig von Froome & Co.

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