Ohne Arbeit wurde ich Dealer

Gespräch mit einem Flüchtling, der ohne Perspektive auf die schiefe Bahn geriet

  • Lesedauer: 3 Min.
Wöchentlich finden zurzeit im Görlitzer Park in Kreuzberg und an anderen Orten der Stadt Razzien der Polizei gegen Dealer statt, von denen viele als Flüchtlinge nach Berlin gekommen sind. Aber warum betreiben junge Flüchtlinge häufig dieses illegale Gewerbe? Über Hintergründe sprach mit Ahmad Maasad*, der als junger Flüchtling aus dem Libanon nach Berlin kam und inzwischen eine Strafe wegen Handels mit Heroin abgesessen hat, nd-Redakteur Martin Kröger.

nd: Herr Maasad, wie verlief Ihre Flucht nach Berlin?
Maasad: Ich bin aus dem Libanon zunächst mit dem Flugzeug in die Türkei geflogen und dann über einen Grenzfluss und die Berge von einem Führer nach Bulgarien gebracht worden. Von da ging es nach einem Monat weiter über Griechenland und Frankfurt am Main nach Berlin - eigentlich wollte ich aber nach Schweden, wo mein Onkel lebt, doch das war nicht möglich, weil mich die Polizei erwischt und an die Ausländerbehörde überwiesen hat.

In Berlin wird häufig berichtet, das palästinensische Flüchtlinge gezielt aus dem Libanon geholt werden, um hier dann als minderjährige Dealer zu arbeiten, weil sie noch nicht strafmündig sind.
Dazu kann ich nichts sagen. Ich wollte nach Europa, aber nie unbedingt nach Berlin. Hier sitze ich nun fest, habe eine Duldung, darf aber nicht arbeiten. Mein Asylantrag ist ungeklärt und einen Pass habe ich bis heute nicht.

Wie war es, in Berlin anzukommen?
Ich war bei der Ausländerbehörde und habe überhaupt nicht verstanden, was der Mitarbeiter von mir wollte und worum es ging. Beispielsweise welche Anträge ich stellen muss. Das Wort Asyl kannte ich nicht. Die einzigen Menschen, die ich zunächst kennengelernt habe, waren andere junge Flüchtlinge im Heim. Und Leute von der Straße, die ich beim Spazierengehen durch den Bezirk Mitte kennengelernt habe.

Haben die Sie angeworben, als Dealer für sie zu arbeiten?
Mein Plan war, nach Europa zu kommen und hier ganz normal zu leben und zu arbeiten. Als ich merkte, ich darf nicht arbeiten, habe ich das Angebot eines Mannes angenommen. Der hatte mir erklärt, ich könne bei ihm 50 Euro am Tag pauschal verdienen. Dafür sollte ich mit anderen Jugendlichen Drogen verkaufen - kleine Bällchen mit Heroin und Kokain. Meisten waren wir in der U-Bahn unterwegs.

50 Euro sind für einen ganzen Tag Arbeit bei dem Risiko, das klingt nicht nach viel Geld, gab es noch zusätzliche Bezahlung?
Nein, es gab einfach nur 50 Euro am Tag. Das war trotzdem viel mehr Geld, als das, was wir vom Sozialamt bekommen haben. Leider habe ich zwischendurch angefangen selber Drogen zu konsumieren, aber dadurch hat mein Leben auch nicht besser funktioniert. Nach einiger Zeit bin ich dann allerdings von Zivilpolizisten beim Dealen erwischt worden, die waren ständig hinter uns her. Danach musste ich vier Monate in den Knast gehen. Nachdem ich auf Bewährung wieder frei war, habe ich wieder angefangen zu dealen. Danach ging es für vier Jahre hinter Gitter.

Wie versuchen Sie nach dem Verbüßen der langen Haftstrafe Ihr Leben zu organisieren?
Nach dem Gefängnis bin ich zum Sozialamt, weil ich eine eigene Wohnung haben wollte. Meinen ganzen Ärger und die ganzen schlechten Kontakte habe ich durch das Heim bekommen. Doch das Amt hat mir zunächst weder Geld noch eine Wohnung gegeben - dadurch bin ich erst einmal wieder auf der Straße gelandet: Ohne Platz, ohne Arbeitserlaubnis und die Botschaft ist nicht bereit, mir einen Pass zu geben. Ich darf wegen der Residenzpflicht nicht einmal Berlin verlassen.

Und wie geht es weiter?
Inzwischen habe ich wieder einen Heimplatz mit vier anderen Männern in einem Zimmer. Da es dort überall schmutzig ist und stinkt, schlafe ich häufig bei einem Cousin. Im Monat bekomme ich 160 Euro vom Sozialamt. Ich weiß nur, ich will nicht wieder Dealer werden und mit diesen Leuten nicht wieder etwas zu tun haben. Ich bräuchte nur eine Arbeitserlaubnis, das wäre Reichtum.

* Name von der Redaktion geändert

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