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Abschiebeknast abschaffen statt auslasten

Flüchtlingsrat kritisiert Überlegungen aus dem Innenministerium und fordert anderen Kurs

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Grünen und zivilgesellschaftliche Gruppen empören sich über einen Entwurf für das Abschiebungshaftvollzugsgesetz, der aus dem Hause von Innenminister Dietmar Woidke (SPD) kommt. »Rot-grüne Bundesländer stellen die Weichen in Richtung Vermeidung von Abschiebehaft. Das rot-rote Brandenburg denkt hingegen darüber nach, wie der zu groß geratene Abschiebeknast in Eisenhüttenstadt durch zusätzliche Belegungen aus anderen Bundesländern effektiver ausgelastet werden kann«, sagt Beate Selders vom Flüchtlingsrat.

Laut Gesetzentwurf sollen kranke Abschiebehäftlinge in Zukunft auch in Haftkrankenhäusern normaler Gefängnisse behandelt werden. Grund ist, dass dem Innenministerium die Behandlung im Eisenhüttenstädter Krankenhaus unter Wachschutz zu teuer ist.

»Das geht gar nicht«, sagt die Landtagsabgeordnete Ursula Nonnemacher (Grüne). »Abschiebehäftlinge sitzen nicht zur Strafe ein. Sie haben in der Regel keine Straftaten begangen. Sie im Krankheitsfall mit Schwerverbrechern gemeinsam unterzubringen, werden wir nicht akzeptieren.«

Der Abschiebeknast in Eisenhüttenstadt verfügt über 108 Haftplätze. Weil es immer weniger Abschiebehäftlinge gibt, ist er seit Jahren nicht ausgelastet. Derzeit sitzen 18 Menschen ein. Die Besonderheit: Elf von ihnen wurden nicht durch Brandenburger Behörden eingewiesen, sondern durch die Bundespolizei. Das sind Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen wollten, allerdings auf dem Weg zur Erstaufnahmestelle in eine Personenkontrolle der Bundespolizei gerieten und darum als illegal Eingereiste ihr Asylverfahren aus der Haft heraus betreiben müssen.

Selders berichtet: »Die rot-grünen Bundesländer fragen sich inzwischen, warum sie die Kosten für dieses fragwürdige Vorgehen der Bundespolizei tragen sollen.« Rheinland-Pfalz schaffe darum ab kommenden Jahr den Abschiebeknast ganz ab und steckt das dadurch frei gewordene Geld in Beratungsangebote für Flüchtlinge. Wo kein Gefängnis ist, kann die Bundespolizei auch niemanden hinschicken. Schleswig-Holstein stecke Geld in Fortbildungen für Haftrichter, damit diese besser mit den fragwürdigen Haftanträgen der Bundespolizei umgehen können. Mit Erfolg: Zwischen 50 und 80 Prozent dieser Haftanträge seien unbegründet.

Selders erwartet von einer rot-roten Regierung, dass sie menschenrechtliche Standards mindestens so ernst nimmt wie rot-grüne Länder. »Sie darf auch besser sein.« Aber derzeit fehle in Brandenburg eine Debatte, wie man die übrigens sehr teure Abschiebehaft verhindern könne.

Flüchtlingsrat und Kirchen kritisieren auch, dass Brandenburg in Eisenhüttenstadt einen Billigknast mit Billiglohnarbeitern betreibe. Bis vor kurzem bekamen die Mitarbeiter eines privaten Wachschutzunternehmens nur fünf Euro Stundenlohn, jetzt sind es acht Euro, ab 1. Januar müssen es 8,50 Euro sein, weil die Lohnuntergrenze bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu diesem Termin um 50 Cent angehoben wird.

Aber auch für diese Summe bekommt man in der abgelegenen Region keine Fachleute. So ist es dem Innenministerium nach eigenen Angaben lange nicht gelungen, die von internationalen Organisationen geforderte Psychologin zu finden, die Traumatisierungen der Flüchtlinge erkennt und behandelt. Keine Expertin wollte weit weg von Berlin für wenig Geld arbeiten. Seit Jahresbeginn gibt es nun doch eine Psychologin - für vier Stunden pro Woche.

Die SPD möchte im Bundestagswahlkampf mit dem Thema Lohngerechtigkeit punkten. Doch in der Abschiebehaft scheinen faire Löhne nicht so wichtig zu sein. Aus einem Prüfbericht des Innenministeriums, der dem »nd« vorliegt, geht hervor, dass die Verhandlungen zur Fusion der Abschiebeknäste von Berlin und Brandenburg ausgerechnet daran scheiterten, dass Brandenburg auf den preiswerten privaten Sicherheitsdienst besteht, Berlin hingegen auf Polizeibeamte, die regelmäßig fortgebildet werden.

Bernhard Fricke, der als evangelischer Seelsorger in beiden Haftanstalten arbeitet, beschreibt den Unterschied: »Die fehlende Kommunikation mit den Gefangenen ist das Hauptproblem in Eisenhüttenstadt.« Das Billigpersonal spreche nicht einmal Englisch. »Viele Gefangenen wissen nicht, warum und wie lange sie dort sitzen und wo ihre Angehörigen abgeblieben sind.« So verbreiteten sich leicht Gerüchte, beispielsweise, dass Mitgefangene angeblich an Tuberkulose erkrankt seien. In Berlin tragen die Fortbildungen der Polizisten zur interkulturellen Kompetenz hingegen Früchte, erzählt Fricke.

Was den Entwurf aus dem Innenministerium betrifft, so betont der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion Thomas Domres: »Kein Gesetzentwurf verlässt den Landtag so, wie er reingekommen ist. Wir werden uns der Diskussion stellen müssen.«

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