Angehörige dürfen Grab ausheben

Streit um die neue Friedhofssatzung der Gemeinde Vierlinden

Eigentlich ging es Dirk Illgenstein nur darum, einige Satzungen zu vereinfachen. »Manche verstehe ich selbst nicht«, klagt der Bürgermeister der Gemeinde Vierlinden im Landkreis Märkisch-Oderland. »Das rüttelt an den Grundfesten der Demokratie, wenn die Bürger deren Regeln nicht verstehen.« Kurz, knapp, präzise und vor allem in normalem Deutsch sollten die Regelungen geschrieben sein. Da sieben Dörfer zu einer Großgemeinde fusioniert wurden, bot sich eine bürokratische Entrümpelung an. Dabei nahm sich Illgenstein auch die Friedhofssatzung vor und sorgte mit der Änderung eines einzigen Wortes für Aufregung. Seit Oktober kann in Vierlinden das Ausheben eines Grabes von einem »Bestattender« vorgenommen werden, statt wie zuvor nur vom »Bestatter«. Damit können nun Privatpersonen ihre Angehörigen selbst beerdigen. Der Verband der Friedhofsverwalter protestiert und fordert eine Grundsatzentscheidung des Landes Brandenburg. »Zu DDR-Zeiten gab es keine so strenge Reglementierung, da haben auch Leute vom Dorf oder die Feuerwehr Beerdigungen gemacht«, entgegnet Illgenstein. Viele Dorfbewohner reagierten daher mit Erstaunen darauf, wie genau heute das Leben auch nach dem Tode reglementiert ist. Schalring, Verbaukästen, Beerdigungsbohlen - die Liste der Gegenstände, die beim Ausheben eines Grabes regulär zu verwenden sind, ist lang, die Tiefe der Grube mit 1,75 Meter ebenfalls genau vorgeschrieben. »Die Mindestregeln des Bestattungsgesetzes sind einzuhalten«, verlangt Johann Weber vom Verband der Friedhofsverwalter in Berlin und Brandenburg. Die Gemeinde dürfe nicht einfach sagen: »Jeder kann machen, was er will.« Die Friedhofsverwalter und das Ordnungsamt pochen vor allem auf die Einhaltung der Vorschriften zur Unfallverhütung und auf den entsprechenden Versicherungsschutz. »Darum müssen sich die Leute selber kümmern«, meint Illgenstein, im Hauptberuf Präsident des Brandenburger Landesamtes für Verbraucherschutz, Landwirtschaft und Flurneuordnung. Illgenstein geht es jedoch nicht nur um das Ausheben der Grube und die damit verbundene Kostenersparnis. »Die Leute sollen ihre Angehörigen so beerdigen, wie sie möchten«, erklärt er. »Ob sie sich die Urne in den Schrank stellen oder die Asche im Garten verstreuen, soll jeder selbst entscheiden.« Solche grundsätzlichen Fragen beschäftigen auch den Potsdamer Landtag. Das Innenministerium prüft derzeit eine Liberalisierung des Friedhofszwangs, die zur Zulassung von Waldfriedhöfen nötig ist; sie sind in der Schorfheide und in Fürstenwalde geplant. Eine Novellierung des Bestattungsgesetzes steht auch auf der Schwerpunktliste des Ausschusses für Bürokratieabbau. »Die Gesetzgebung ist extrem formalistisch«, stellt die Ausschussvorsitzende Tina Fischer (SPD) fest. Sie will gemeinsam mit dem Innenausschuss im nächsten Jahr »eine breite öffentliche Debatte anstoßen«. Einen Trend zur schlichten Bestattung, die später eine aufwendige Grabpflege erspart, sieht Andreas Dieckmann, stellvertretender Obermeister der Bestatter-Innung Berlin-Brandenburg. Das liege auch daran, dass viele Familien verstreut leben und obendrein das Sterbegeld weggefallen sei. »Die Leute denken zunehmend rationell.« Wenn die Rahmenbedingungen eingehalten werden, gehen auch Begräbnisse durch Angehörige oder Ehrenamtliche, wie sie in Vierlinden erlaubt wurden, in Ordnung, räumt der Verband der Friedhofsverwalter ein. In Vierlinden machte allerdings noch niemand von der neuen Möglichkeit Gebrauch. Der Bürgermeister sagt: »Wir sind eine kleine Gemeinde...

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