Hochwasser soll breiter werden

Grüne fordern weitere Überflutungsflächen in Sachsen / Deichverlegung erfolgt sehr langsam

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Damit Fluten an sächsischen Flüssen weniger Schäden anrichten, müssen sich diese ausbreiten können. Doch bei den geplanten Vorhaben kommt das Land nicht voran.

Die Aussicht klingt ernüchternd. In etwa 250 Jahren werden Sachsens Flüsse den Raum haben, der ihnen nach dem Hochwasser 2002 versprochen wurde - vorausgesetzt, das Tempo, mit dem Deiche verlegt und damit neue Flussauen geschaffen werden, erhöht sich nicht spürbar. An 49 Stellen sollten, so ist es in den Konzepten zum Hochwasserschutz für den Freistaat zu lesen, zusätzliche Auen und Überflutungsflächen entstehen; Flüsse wie die Elbe, die Freiberger und Zwickauer Mulde, Zschopau und Spree sollten sich auf 7500 Hektar zusätzlich ausbreiten können. Die Realität hinkt diesen Planungen meilenweit hinterher: Gerade einmal zwei Vorhaben mit 110 Hektar sind umgesetzt. Stand der Planerfüllung: 1,5 Prozent.

Gisela Kallenbach will das nicht hinnehmen. »Das muss schneller gehen«, meint die Abgeordnete der Grünen im Landtag. Ihre Fraktion fordert vom Land jetzt sogar, sich ehrgeizigere Ziele zu setzen. Eine Studie, die sie beim WWF-Aueninstitut in Rastatt in Auftrag gab, schlägt weitere 17 Deichrückverlegungen vor, mit denen die Flüsse weitere 3418 Hektar Rückhaltefläche erhalten würden.

Wie notwendig das ist, hat nach Ansicht von Oliver Harms vom Aueninstitut das Hochwasser im Juni 2013 gezeigt. Das hat in Sachsen viel weniger Schäden angerichtet als die Flut 2002. Grund: Der technische Hochwasserschutz - Deiche und Flutmauern - wurde verbessert, Deichbrüche kamen seltener vor. Dafür aber wurde das flussabwärts gelegene Sachsen-Anhalt um so stärker getroffen: »Die Unterlieger müssen es ausbaden«, sagt Harms. Die Pegel lagen dort viel höher als 2002, weil das Wasser ungehindert durch Elbe, Mulde und Saale floss. Magdeburg entging nur knapp einer Katastrophe; um Breitenhagen und Fischbeck, wo Deiche brachen, trat sie ein.

Harms fordert deshalb, technische Schutzmaßnahmen nur auf Ortschaften, Siedlungen und Bauwerke zu beschränken, alle weiteren Flächen aber zur Verfügung zu stellen, damit Wassermassen sich besser ausbreiten können: »Das Hochwasser soll breiter werden«, formuliert der Experte. Allerdings lasse sich nicht exakt beziffern, um wie viele Zentimeter sich die Pegel kappen ließen: »Dafür sind die Ereignisse jeweils zu verschieden.«

In der Theorie dürfte die Forderung, den Flüssen mehr Raum zu geben, einleuchten; in der Praxis steht sie, wie die sehr zögerliche Umsetzung der Pläne zeigt, vor großen Hürden. Vorbehalte gibt es etwa bei den Bewohnern von Orten, die näher am verlegten Deich lägen und den Anstieg des Grundwassers fürchten. Ablehnend reagieren häufig auch Landwirte, die ihre zu Überflutungsflächen umgewandelten Felder nur noch extensiv nutzen dürfen oder damit rechnen müssen, dass ihr Mais öfter im Wasser steht. Harms hält es für selbstverständlich, dass Bauern in solchen Fällen entschädigt werden. Man müsse aber generell abwägen, »ob wir Städte schützen wollen oder Maisäcker«.

Kein plausibles Argument sind nach Ansicht Kallenbachs die Kosten. Zwar ist eine Verlegung von Deichen nicht eben preiswert, wie ein Modellprojekt in Sachsen-Anhalt belegt. Dort werden in Regie der Naturschutzorganisation WWF im Lödderitzer Forst 7,3 Kilometer Elbedeich tiefer ins Land verlegt, was etwa 27,8 Millionen Euro kosten soll. Allerdings kostet auch die Ertüchtigung vorhandener Deiche viel Geld. Zudem seien 100 Millionen Euro aus dem Topf für Hochwasserschutz im Landesetat nicht abgerufen worden, wie die Abgeordnete herausgefunden hat. Sie vermutet neben den Konflikten mit Anwohnern, Bauern und Besitzern der Flächen einen weiteren, recht banalen Grund für die Skepsis gegen einen ökologischen Hochwasserschutz. Beim zuständigen Landesbetrieb arbeiteten zumeist Ingenieure, und »deren Denkansatz ist ein anderer: Sie wollen bauen.«

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