Bloß keine Selbstzweifel

Eintracht Braunschweig verliert das erste Bundesligaspiel seit 28 Jahren unglücklich mit 0:1 gegen Bremen

  • Frank Hellmann, Braunschweig
  • Lesedauer: 3 Min.
Die sportliche Leitung des Aufsteigers Eintracht Braunschweig will partout nicht zulassen, dass das unglückliche 0:1 gegen Werder Bremen schon als Stimmungskiller wirkt.

Sogar manch einer der Braunschweiger Taxifahrer schien positiv überrascht. Wer die Hamburger Straße nicht regelmäßig befährt, hat vielleicht wirklich nicht mitbekommen, was stadtauswärts in der Löwenstadt entstanden ist. Statt einer grauen Fassade aus Waschbeton leuchtete eine blau-gelb illuminierte Ummantelung aus Glas und Stahl, und wo früher ein Zeltprovisorium vor der Haupttribüne stand, strahlte der Fanshop im neuen Glanz. Die Einweihung hätte zu keinem besseren Zeitpunkt erfolgen können als anlässlich des ersten Bundesligaspiels von Eintracht Braunschweig nach fast drei Jahrzehnten Enthaltsamkeit. »28 Jahre lang wurde etwas vermisst«, stand auf dem Spruchband vor der Südkurve - erst weiß auf schwarzer, dann blau auf gelber Folie.

Von dieser Stehplatztribüne mit den Stützpfeilern sind schon Bernd Gersdorff und Bernd Franke, Paul Breitner oder Ronnie Worm angefeuert worden, die neben dem Jägermeister-Hirschkopf einst das Erkennungsmerkmal gaben. Doch Torsten Lieberknecht bemerkte nach dem 0:1 (0:0) gegen den SV Werder Bremen ganz bewusst, bitteschön jetzt Kevin Kratz und Mirko Boland, Deniz Dogan oder Jan Hochscheidt als Erstligaakteure wahrzunehmen. Die Vergangenheit nicht übermächtig wirken zu lassen, aber auch nicht zu verstecken, gilt als diffizil für jeden Trainer eines Traditionsvereins.

Der feinfühlige Lieberknecht hatte sich dazu entschieden, sein Ensemble mit Videoschnipseln von der Meisterschaft 1967 als auch dem Aufstieg 2013 einzustimmen. »Es war nicht nur das Jägermeister-Trikot, sondern auch der tanzende Trainer zu sehen«, merkte der 40-Jährige hinterher etwas zerknirscht an. Denn genützt hat die Motivationsmasche letztlich nichts. Die unglückliche Niederlage hätte viele Zutaten eines Stimmungskillers besessen. Erst die verzagten Bemühungen (»normal, wenn wir mit Hosenflattern ins Spiel gehen«), dann die vergebenen Möglichkeiten (»einmal schießen wir gegen die Latte, einmal liegt einer auf der Linie rum«) bildeten eine unheilvolle Mixtur, doch in Lieberknechts direktem Einflussbereich sollte bloß niemand auf die Idee aufkommen, von einem moralischen Tiefschlag zu sprechen.

»Der Tag tut weh, aber wir stellen uns dieser Herausforderung«, betonte der tapfere Mann mit dem Pfälzer Idiom. »Es waren ganz viele Jungs dabei, die ihr erstes Bundesligaspiel gemacht haben. Und für mich als Trainer galt das auch.« Der Fußballlehrer, der in existenzbedrohenden Drittligazeiten anheuerte, wollte das Erstligaerlebnis partout positiv verkaufen. »Es gibt gute Gründe, sich auf Braunschweig in der Bundesliga zu freuen«. Auch der Sportlicher Leiter Marc Arnold will noch »den einen oder anderen Farbtupfer« setzen. Selbstzweifel soll es nicht geben, nur weil es nächsten Sonntag nach Dortmund geht.

Zumindest stimmungsmäßig besteht an der Klassentauglichkeit kein Zweifel: Die treue Anhängerschaft sorgte für eine authentische Begeisterung, die bei der niedersächsischen Konkurrenz in Hannover nur ganz selten und in Wolfsburg so nie zu erleben ist. Es gab sogar noch donnernden Applaus, als Vaterfigur Lieberknecht (»Es ist ein Lernprozess«) Stammkräfte und Reservisten, Helfer und Betreuer nach Schlusspfiff in einem Kreis an der Mittellinie versammelte.

Zu diesem Zeitpunkt schritten die Protagonisten in grün-weißer Montur in nördlicher Richtung den Gitterzaun ab und klatschten die mitgereisten Fans ab. Bei Werder dominierte der erlösende Faktor trotz teilweise erschreckender spielerischer Armut. Geschäftsführer Thomas Eichin hatte nach Amtsantritt Mitte Februar seinen ersten Pflichtspielsieg erlebt und wertete das Siegtor von Zlatko Junuzovic nach Befreiungsschlag seines österreichischen Kollegen Sebastian Prödl (82.) als »wichtig fürs Stimmungsbarometer.«

Bremens neuer Coach Robin Dutt wischte sich nach »einem dreckigen Sieg« (Junuzovic) die Schweißperlen von der Stirn. Gelassen nimmt der Nachfolger von Thomas Schaaf nun hin, dass die eigenen Zuschauer am Samstag gegen den FC Augsburg eine Choreografie planen, um Institution Thomas Schaaf zu verabschieden. »Mich hat man vorher persönlich angeschrieben, ich finde das in Ordnung.« Genau wie das Werben seines Arbeitgebers um den norwegischen Alt-Internationalen John Arne Riise (früher FC Liverpool, aktuell FC Fulham). Kommentar von Dutt: »Wenn Werder sich Riise leisten kann, wäre ich positiv überrascht.«

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