Am Anfang war die »Josephslegende«
In Armin Juhres Weihnachtsgedichten lebt die biblische Friedensbotschaft
Vor fünf Jahrzehnten begründete der Schriftsteller Armin Juhre eine einmalige Tradition: Alljährlich schreibt er ein christliches Weihnachtsgedicht, in dem er zum Frieden mahnt.
Wer am dritten Advent die Kirche St. Peter und Paul vor den Toren Potsdams besuchte, konnte eine ungewöhnliche Ehrung des in Berlin geborenen Schriftstellers Armin Juhre erleben: Der Gottesdienst und die anschließende Feierstunde zu seinem 80. Geburtstag waren von Liedern getragen, deren Texte von ihm selbst stammen. Die Auswahl war schwer, sind doch bislang mehr als 100 seiner Gedichte und Psalmen von 60 verschiedenen Komponisten vertont worden. Am Ende trug der heute in Wuppertal lebende Autor einige seiner jüngsten Weihnachtsgedichte vor. »Am Anfang war es eine Art Notwehr», erinnert sich Armin Juhre. Damals, im November 1956, machte dem aus der Kriegsgefangenschaft Heimgekehrten, der sich im Westteil Berlins als freier Schriftsteller versuchte und sein Brot beim Enttrümmern verdiente, die Diskrepanz zwischen christlicher Friedensbotschaft und akuter Kriegsgefahr schwer zu schaffen. »Fast gleichzeitig rückten sowjetische Truppen in Ungarn ein, und auf Sinai lieferten sich israelische Interventionstruppen und englisch-französische Luftstreitkräfte erbitterte Kämpfe mit den Ägyptern«, beschreibt er die für den Weltfrieden bedrohliche Situation. Und so schrieb Juhre sein Weihnachtsgedicht Nr. 1, die »Josephslegende«, die von angehenden Vätern berichtet, die in Ungarn und Ägypten auf der Flucht sind und ein Notquartier suchen, wo ihre Frauen gebären können. Seither heißt Adventszeit für Juhre auch immer: Erfinden sinnbildlicher Texte, die »dazu animieren sollen, für den Frieden zu arbeiten, denn der fällt uns ja nicht in den Schoß«. Zumeist sind es Hirten- oder Engelsgedichte entlang der biblischen Weihnachtsgeschichte, in denen er behutsam Aktuelles assoziiert, gelegentlich auch direkt benennt. In den 60er Jahren ist da auch schon mal von den »Vernichtungslagern der Vergangenheit« oder vom »atomaren Gleichgewicht« die Rede, Anfang der 80er Jahre sieht er im »Krieg der Sterne« eine existenzielle Bedrohung. Und wenn sein Weihnachtsgedicht einmal nicht rechtzeitig zu Freunden und Bekannten fand, konnte es geschehen, dass etwa Johannes Rau, der spätere Bundespräsident, besorgt anfragte, ob es ihm nicht gut gehe. Juhre publiziert bereits seit 1948, arbeitete im Evangelischen Rundfunkdienst Berlin, war Lektor beim Peter Hammer Verlag und Redakteur beim Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt in Hamburg. Schon 1957 würdigte er in seinem »Spiel von der Weißen Rose« den antifaschistischen Widerstand der jungen Münchner. 1987 erschien auch in der Evangelischen Verlagsanstalt in der DDR eine Auswahl seiner Gedichte und Psalmen. In jenen Jahren lernte Juhre auch den Cottbuser Kirchenmusikdirektor Lothar Graap kennen, mit dem ihn auch sein bislang ausgedehntester Ausflug in die »weltliche« Literatur- und Musikszene verbindet: das Opus für Orgel, Schlagzeug und Menschenstimmen zum Reichstagsbrand 1933, für das er den Titel »Eines Tages müssen wir die Wahrheit sagen« wählte. Das Thema hatte ihn schon lange beschäftigt, 1997 begann er, intensiv daran zu arbeiten. Stets hatte ihn geärgert, dass der »Spiegel« und andere Meinungsinstitute so vehement die Theorie von der Einzeltäterschaft van der Lubbes lancierten. Und als er herausfand, dass dies gar von »Dauernazis« betrieben wurde, machte er seinen Ärger produktiv, wandte sich mit seinen Mitteln nicht minder vehement gegen derlei Geschichtsfälschung. »Das Werk ist weder ein Oratorium noch eine Kantate - Orgel und Schlagzeug schaffen Hörräume für Wortlaute, für die Lebensläufe von fünf Berlinern jener schicksalhaften Tage«, interpretiert er das gemeinsam mit Graap geschaffene und seit der Uraufführung 2000 bisher 15 Mal aufgeführte Opus. Parallel dazu immer wieder ein neues Weihnachtsgedicht. Schon am Ende des Kalten Krieges war Armin Juhre das »mulmige Grundgefühl« nicht losgeworden, die Friedensfrage sei »noch längst nicht gelöst«. Besonders bestürzend für ihn, dass gerade »im Heiligen Land kein Frieden in Sicht ist« - in jenen Gefilden, in denen ja die meisten seiner Weihnachtsgedichte angesiedelt sind. Symptomatisch auch, dass er, der so oft über die Geburt Jesu in Bethlehem nachdachte, diesen Ort nie betreten konnte. Als er 1965 mit einem Stipendium des Schriftstellerverbandes Israel bereiste, war Bethlehem für ihn unerreichbar. Dennoch sind seine Gedanken immer wieder im Heiligen Land - auch in seinem Weihnachtsgedicht 2005: »Weiß Gott, die Engel haben / Im Morgenland genug zu tun, / die Weisen zu begleiten / auf ihrem Weg zum Gotteskind. / Ganz anders als erwartet, / kennt niemand in Jerusalem, / wen hier die We...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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