Süße Versuchungen im Schokoladenland

Erfunden haben die Schweizer die »Speise der Götter« nicht, aber perfektioniert

Die Region Fribourg gilt als der Schokoladen-Kanton der Schweiz. Hier gibt es nicht nur Schokoladenfabriken, sondern auch viele Chocolatiers, die in reiner Handarbeit feinste Schokoladen und Pralinen herstellen und so bis heute dazu beitragen, den guten Ruf der Schweiz als Schokoladen-Nation weiter in die Welt zu tragen.
Richard Majeux ist Chef der Patisserie-Confiserie Suard in Fribourg, dem ersten Haus am Platze, wenn es um handgearbeitete Schokoladenprodukte geht. Seit 15 Jahren stellt er Pralinen, Hohlkörper, Torten und Marzipan her.
»Probieren Sie nur«, fordert er auf. Das ist gut gesagt, denn wo anfangen bei rund 40 verschiedenen Pralinensorten. Je weiter ich mich durch die Vielfalt nasche, desto besser schmeckt es. Glücklicherweise muss ich an dem Tag nicht selber fahren, denn spätestens nach dem Genuss seiner berühmten Kirschtrüffel hätte ich das Auto stehen lassen müssen. Künstliche Aromen oder Geschmacksverstärker haben bei Suard Hausverbot. Selbstverständlich auch Konservierungsstoffe, doch die wären ohnehin überflüssig. Denn alt werden die Leckereien nicht. Vieles verlässst noch nicht einmal den Laden, wird gleich im Café vernascht.

Ein Vielfaches größer sind die Dimensionen in der Schokoladenfabrik Villars am Stadtrand von Fribourg. Hier empfängt uns Alexandre Sacerdoti, Generaldirektor des Unternehmens und bekennender »Schokoholic«. Für Schokolade würde er nicht nur bis ans Ende der Welt reisen, er tut es tatsächlich.
Sacerdoti hat eine Mission: »Wir wollen weltweit die beste Schweizer Schokolade anbieten.« Und das lässt man sich bei Villars eine Menge kosten - nicht nur an Geld, sondern vor allem an Einsatz, Qualitätsdenken und das Besinnen auf alte Traditionen der Schweizer Schokoladenkultur. Während andere Produzenten fertige Couvertüre verwenden oder diese bestenfalls aus gekauften Kakaobohnen selbst herstellen, bewirtschaftet Villars eigene Plantagen in Venezuela, die man sich mit der französischen Spitzen-Firma Valrhona teilt. Nur beste Qualität hat eine Chance. Sacerdoti überzeugt sich regelmäßig vor Ort von der Qualität der Ware. Neben dem Kakao aus den eigenen Plantagen kauft Villars von weiteren regionalen Produzenten. Dabei wird strengstens darauf geachtet, dass nichts genommen wird, was durch Kinderarbeit entstanden ist. »Kinder gehören in die Schule, nicht auf die Plantage«, so Sacerdoti.
Rund 400 Tonnen Schokolade produziert Villars jährlich. Stolz ist man darauf, dass man der einzige Schokoladenproduzent der Schweiz ist, der ausschließlich Schweizer Milch und Schweizer Zucker verwendet. Auch alle anderen Zutaten, die im eigenen Land produziert werden können, werden im Land gekauft.
Das Produktsortiment ist groß, reicht von Tafelschokolade, über Pralinés bis zur Trinkschokolade. Sogar einen eigenen Kaffee gibt es. D i e Spezialität aber sind Choco-Köpfli, eine Art Schaumküsse, die allerdings mit dem, was man hierzulande kennt, gar nichts gemein haben. Eine luftige Eischneeschaummasse wird umhüllt von feinster Couvertüre.
Seit einem Jahr gibt es im Betriebsgelände ein Café, wo man nicht nur all die leckeren Produkte verkosten, sondern auch zahlreiche Gerätschaften aus der 104-jährigen Betriebsgeschichte sehen kann. Im angeschlossenen Firmenladen hat man die Qual der Wahl.

Conny Züger arbeitet nur wenige Kilometer entfernt in Kleingurmels in ihrem Schoko-Atelier. Man könnte denken, sie ist das reelle Vorbild für Juliette Binoche, der Heldin im Film »Chocolat«, die dank der erotisierenden Kraft der Schokolade (fast) alle seelischen Wehwehchen heilt und die Menschen versöhnt. Conny Züger hat diese Wirkungen nicht nur bei anderen, sondern vor allem auch bei sich selbst erfahren. 25 Jahre lang hatte sie erfolgreich mit ihrem Mann in Murten die Confiserie Züger geführt. Nach der Scheidung versuchte sie sich allein, gründete 2003 in Kleingurmels »Connys Chocolate GmbH«. Trotz oder gerade wegen einer sehr schweren Krankheit begann sie, für sich und andere eine Schokoladen-Nische zu besetzen. Gemeinsam mit einer Gesundheits- und Ernährungstherapeutin entwickelte sie Pralinen, die auf einem ausgeglichenen Säure-Basen-Konzept beruhen. Nur beste Rohstoffe, die ausschließlich auf biologischer Basis produziert werden, verwendet sie in ihrem Schoko-Atelier.
Bei Conny Züger kann jeder selbst erfahren, dass Schokolade glücklich macht. Denn sie gibt Schokoladenseminare, bei denen man in drei Stunden nicht nur jede Menge über die »Speise der Götter« erfährt, sondern selbst mal Trüffel drehen oder eine Schokoladenfigur herstellen und selbstverständlich mitnehmen kann. Naschen bis zum Abwinken ist im Preis von 50 Franken (etwa 33 Euro) inbegriffen.

Wer nun glaubt, die Schweizer hätten die Schokolade erfunden, irrt. Die ersten Schokoladentafeln kamen aus Birmingham, wo 1657 ein Franzose ein Geschäft eröffnete. Auch die erste Schokoladenfabrik stand nicht in der Schweiz, sondern nahm 1780 in Barcelona ihre Produktion auf. Doch erst die Eidgenossen verhalfen der Schokolade zum Siegeszug rund um die Welt und machten das Alpenland zur Schokoladennation Nr. 1.
Angefangen hat es mit François-Louis Cailler, der 1819 in Corsier bei Vevey die erste mechanisierte Schokoladen-Manufaktur eröffnete, und so die älteste noch existierende Schokoladenmarke der Schweiz begründete. 1825 eröffnete Philippe Suchard in Neuchâtel eine Konditorei und ein Jahr später in Serrières eine Fabrik, in der er mit einem einzigen Arbeiter täglich schon rund 30 Kilogramm Schokolade herstellte. Ein Jahr vor seinem Tod im Jahr 1883 war er landesweit der größte Produzent und beschäftigte 250 Menschen.
Daniel Peter machte 1875 eine Erfindung, die die ganze Schokoladenlandschaft grundlegend veränderte. Ihm gelang es, die Kakaomasse mit Milch zu verfeinern. Bald übernahm die ganze Branche das neue Verfahren. Nur wenige Jahre später war es der Berner Apothekersohn Rodolphe Lindt (1855-1909), der mit einer weiteren Erfindung zu dem weltweit schnell wachsenden Ruhm der Schweizer Schokolade beitrug. 1879 hatte er in Bern eine Chocolaterie gegründet, doch mit der Qualität der Produkte war er gar nicht zufrieden. Sandig schmeckten sie und leicht säuerlich, und sie bekamen schnell einen weißen Belag.
Auf den Rat seines Bruders, eines Apothekers, heizte er seine Walzenreibmaschine, die die Kakaobohnen zerrieb, und ließ sie länger laufen. Außerdem fügte er der Masse mehr Kakaobutter zu. Was er nach drei Tagen ununterbrochenen Rührens aus der Maschine schöpfte, hatte kaum noch etwas mit der herkömmlichen Schokolade zu tun. Es war glänzend, schmolz auf der Zunge und entwickelte eine Fülle von bis dahin nicht geschmeckter Aromen. Er ließ sich eine Maschine bauen, die er wegen ihrer Form »Conche« (Muschel) nannte und hütete sein Geheimnis vor der Konkurrenz. Doch Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Verfahren, das seither Conchieren heißt, in der Branche bekannt und sorgte für einen Durchbruch in der industriellen Produktion. 1908 erfand Theodor Tobler die wohl berühmteste Schweizer Schokolade, die dreieckige »Toblerone« aus Milchschokolade mit Honig-Mandel-Nougat.
Heute stellen 17 Firmen jährlich rund 139 000 Tonnen Schokolade her, die weltweit verkauft werden. Hinzu kommen ungezählte handwerkliche Betriebe. Mit zwölf Kilo pro Person im Jahr sind die Schweizer Weltmeister im Verbrauch, die Deutschen bringen es mit zehn Kilo auf Platz zwei, gefolgt von den Engländern mit rund 8,4 und den Franzosen mit sieben Kilo.

Infos:
Schweiz Tourismus, Tel.: (00800) 100 200 30 (gebührenfrei), www.myswitzerland.com
Patisserie-Confiserie Suard, rue Jean-Grimoux 14, 1700 Fribourg, Tel.: +41 (0)26 322 22 01
Villars Maître Chocolatier SA, rue de la Fonderie 2, 1700 Fribourg, Tel.: +41 (0)26 426 65 00
Connys Chocolate GmbH, Zeigweg 4, 3212 Klei...


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