Hauptstadt des Veganismus

Immer mehr Berliner entscheiden sich für ein Leben ohne tierische Produkte

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Da ist ganz sicher kein Tier drin?« Maximilian Kröber schaut skeptisch auf das Steak seiner Freundin Lisa. »Hier ist alles vegan«, antwortet die Studentin. Kröber greift nach dem Brötchen, in dem ein Stück Steak liegt, das einem Stück Fleisch zum Verwechseln ähnlich sieht, aber aus Weizeneiweiß und nicht aus Schwein besteht. »Lecker, hätte ich nicht gedacht«, sagt Kröber nach dem ersten Bissen seines Lebens in ein veganes Steak.

Das junge Paar ist wie mehr als zehntausend anderer Besucher am Samstag zum Vegan-Vegetarischen Sommerfest auf den Alexanderplatz gekommen, das seit 2008 alljährlich von mehreren Organisationen, darunter dem Vegetarierbund Deutschland und der Albert-Schweitzer-Stiftung, organisiert wird. Berlin hat sich in den letzten Jahren zur inoffiziellen Hauptstadt der veganen Bewegung entwickelt. Veganer lehnen die Verwendung tierischer Produkte ab, sei es aus Gründen des Tierrechts, der Ökologie oder der Gesundheit. Mit dem Sommerfest wollen die Organisatoren Leute erreichen, die sich über diese Aspekte bisher kaum Gedanken machen. Leute, wie Kröber. »Bleibt man da überhaupt gesund?«, fragt er sich wie viele andere Besucher für die Fleisch, Milch, Eier und Honig bisher fest zum Speiseplan gehören.

Die mit Sicherheit überzeugendste Antwort liefert Patrik Baboumian. Die Oberarme des Kraftsportlers messen einen größeren Umfang als die Waden so manches Sommerfestbesuchers. Doch anstatt auf Fleisch als Eiweißquelle schwört der 35-Jährige allein auf pflanzliche Proteine. Vor zwei Jahren entschied sich Baboumian für den Veganismus, davor ernährte er sich etwa sechs Jahre vegetarisch. Im August 2011 gewann er die deutschen Strongman-Meisterschaften und trägt seitdem den Titel »Stärkster Mann Deutschlands«. Für diese Auszeichnung musste Baboumian unter anderem Autokarossen schleppen. Obwohl der gebürtige Iraner aufgrund seines Alters im Kraftsport kürzer treten will, versucht er sich am Samstag an einem neuen Weltrekord. Vor ihm steht ein Stahlgerüst, an dessen Enden links und rechts Gewichte hängen. Die Konstruktion wiegt 555 Kilogramm, sechs Kilogramm mehr als der bisherige Rekord. Baboumian trägt diese Last auf seinen Rücken zehn Meter weit. Er kämpft, arbeitet sich unter dem Jubel hunderter Zuschauer schrittweise zur Ziellinie. Kurz vor dem Rekordversuch erzählt er: »Wenn du mehr als 500 Kilogramm trägst, hast du das Gefühl, dein Schienbein bricht im nächsten Moment.« Doch der Rekord gelingt, Baboumian schreit seine Freude heraus, als er die Ziellinie überquert. Wenige Augenblicke später greift er zum Mikrofon. »Mit dem Rekord wollte ich ein Zeichen setzen, dass man mit einer veganen Ernährung alle sportlichen Ziele erreichen kann.«

Zu den ersten Gratulanten gehört der Koch Björn Moschinski, der mit dem »Mio Matto« in Friedrichshain demnächst sein zweites veganes Restaurant in Berlin eröffnet. In der veganen Szene genießt er den Ruf eines Popstars, der es geschafft hat, die pflanzliche Ernährung mit seinen Rezepten für den Massengeschmack zu öffnen, ohne Aspekte wie den Umwelt- und Tierschutz zu vernachlässigen. Moschinski selbst lebt seit 20 Jahren vegan und erinnert sich noch gut an die Anfänge. »Früher musste ich viele vegane Produkte in Polen oder Tschechien kaufen, da es so etwas in Deutschland nicht gab.« Seitdem hat sich das Angebot auch in Berlin enorm erweitert.

In der Hauptstadt gibt es nach Angaben des freien Netzwerks Berlin-Vegan inzwischen 20 komplett vegane Restaurants und Cafés sowie drei vegane Supermärkte, die neben Klassikern wie Tofu in verschiedensten Variationen auch Süßigkeiten, Aufstriche oder Käseersatz im Angebot haben. Seit Januar gehört der Doktor Pogo Veganladen in Neukölln dazu, betrieben von einem elfköpfigen Team in kollektiver Selbstverwaltung. Das Konzept basiert auf regionalen Produkten, etwa auf Seife aus einer Kreuzberger Manufaktur oder auf die Soyrebels, einem kleinen Tofuhersteller in der Nähe des Ostkreuzes. Menschen wie Moschinski finden diesen Ansatz richtig. Für ihn ist Veganismus mehr. Für ihn ist es eine Lebenseinstellung.

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