Mit dem Fahrrad in die Freiheit

»Das Mädchen Wadjda« von Haifaa Al Mansour

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein kleiner, stilistisch eher konservativer Film könnte das Modernste sein, was zur Zeit aus Saudi-Arabien kommt. »Das Mädchen Wadjda« (ursprünglich einfach: »Wadjda« - dem hiesigen Publikum traute man offenbar nicht zu, dem ungewohnten Namen hinreichend Interesse abzugewinnen, um eine Kinokarte zu erwerben) wurde gefilmt in Riad, noch dazu von einer Frau, und ist nach offizieller Darstellung der erste komplett in Saudi-Arabien gedrehte Spielfilm.

Ein Etikett, das mit Vorsicht zu genießen ist, denn Regisseurin Haifaa Al Mansour lebt schon längst nicht mehr in Saudi-Arabien - und musste alle Außenaufnahmen vom Kleinbus aus überwachen, weil sie sich nicht zusammen mit dem männlichen Filmteam sehen lassen konnte. Das Geld kam weitgehend aus Europa, und die technische Crew wurde praktisch komplett vom deutschen Produzenten gestellt und nach Saudi-Arabien eingeflogen. Auch die Ästhetik des Films ist eine westliche, keine orientalische - was nicht weiter verwundert in einem Land, das keine eigene Filmtradition vorweisen kann, weil die dort gepflegte, extrem konservative Auslegung des Islam ästhetischen Experimenten filmischer Art entgegensteht.

Der Film selbst, aggressiv mit seinem Herkunftsland beworben, läuft andernorts in Europa bereits vor vollen Sälen. Und er kann sich sehen lassen, selbst wenn man den Etikettenschwindel übel nehmen wollte. »Wadjda« ist ein Film wider die Tabus, wenn auch ein vorsichtiger, stiller. Ein Film über ein junges Mädchen, gerade noch vorpubertär, das sich an zwei Fronten mit der Rolle der Frau in der saudischen Gesellschaft auseinandersetzen muss: auf der privaten Ebene, weil die Mutter nach der schweren Geburt ihrer Tochter keine weiteren Kinder haben kann und der Vater unter dem Druck seiner Familie steht, mit einer neuen Frau einen Erben zu produzieren. Und (wenn sie in der Schule mal wieder durch kesse Worte und fehlendes Kopftuch auffällt) auf der öffentlichen Ebene - soweit Öffentlichkeit ein Terminus ist, der sich auf die stets sorgfältig abgeschotteten saudischen Frauen anwenden lässt.

Weil Wadjda gerade alt genug ist, sich mit dem niedlichen Nachbarsjungen spielerische Kämpfchen zu leisten, träumt sie vom eigenen Fahrrad. Denn wie sollte sie ihm sonst beweisen, dass sie garantiert viel schneller fahren könnte als er - wenn sie es endlich lernen dürfte? Mädchen aber fahren in Saudi-Arabien nicht Fahrrad, zu unmoralisch, zu frei an Knöchel und Seele wäre wohl die Fahrt. Was Wadjda so nicht stehen lassen mag - schließlich hat sie einen Kopf zum Denken und einen Mund zum Sprechen - auch von Widerworten. Also wählt sie den Umweg, der ihr bleibt in einem repressiven Milieu: weil der Gewinnerin des Wettbewerbs im Koran-Vortrag an ihrer Mädchenschule ein Geldpreis winkt, mit dem sich beim Händler an der Ecke ein neues grünes Fahrrad gut bezahlen ließe, übt Wadjda, die rebellische, unangepasste Wadjda, nun fleißig das Rezitieren auswendiggelernter Verse.

Am Ende hat sie mehr Glück mit ihren Anstrengungen als ihre Mutter, der auch das frechste rote Abendkleid unterm schwarzen Schleier nicht mehr helfen kann. Aber natürlich findet sich unweigerlich ein offizieller Weg, die Fahrradträume der Rebellin zu verhindern. Trotzdem wird alles gut, zumindest für einen kurzen Moment. Und auch der Nachbarsjunge, der erste Heiratsabsichten anklingen ließ - noch ist er in einem Alter, in dem Wadjdas Freiheitsliebe ihm eher imponiert, als dass sie ihn einschüchtert - ist unter den Umständen vielleicht noch Glück im Unglück. Aber schon, dass man das denkt: mit dem hat sie dann ja vielleicht noch Glück gehabt, wenn ihre Mutter sie in zwei, drei Jahren wird verehelichen müssen, zeigt natürlich bloß, dass man dem Denken des Regimes schon auf den Leim gegangen ist.

Anderes ist diesem aufgeweckten Kind zu wünschen, aber da macht man sich wohl nicht zu Unrecht wenig Hoffnungen.

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