Doctora Seewald gesteht Folterpraktiken

Ehemalige Krankenhausdirektorin der Colonia Dignidad festgenommen

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.

Die Ärztin Gisela Seewald, ehemalige Leiterin des Krankenhauses der Deutschen-Siedlung Colonia Dignidad in Chile, wurde am Dienstag in Santiago de Chile festgenommen. Vorgeworfen wird ihr systematische Misshandlung und Folter von Minderjährigen.

Die chilenische Justiz geht weiter gegen die berüchtigte deutsche Siedlung Colonia Dignidad (Kolonie der Würde) vor, die inzwischen als Villa Baviera (Bayrisches Dorf) firmiert. Nach der Auslieferung des ehemaligen Sektenchefs Paul Schäfer von Argentinien an Chile im März stellten die Behörden die Siedlung Ende August unter Zwangsverwaltung. Am Dienstag nun wurde die ehemalige Krankenhausleiterin Gisela Seewald festgenommen. Dem Untersuchungsrichter gestand die heute 75-Jährige Folterungen unter Einsatz von Elektroschocks und Psychopharmaka im Siedlungshospital. Nach Aussagen der Ärztin wurden die Maßnahmen bei Jugendlichen und Erwachsenen der Kolonie eingesetzt, um ihr sexuelles und aufrührerisches Verhalten zu kontrollieren und um Fluchtversuche zu bestrafen. Jugendliche, die gegen das sexuelle Tabu in der Siedlung verstießen, wurden im Krankenhaus einer »Behandlung« unterzogen, die ein bis drei Monate andauern konnte. Dort wurden auch Kinder »behandelt«, die sich dem sexuellen Missbrauch durch den Siedlungsgründer Paul Schäfer widersetzten. Die Zeit unter Leitung von Seewald sei die schrecklichste Phase im Krankenhaus gewesen, erklärte Untersuchungsrichter Jorge Zepeda gegenüber der chilenischen Presse. Seewald habe bei ihren »Behandlungen« ein spezielles Instrument eingesetzt, das bis heute nicht gefunden wurde. Die »Doctora Seewald«, wie sie genannt wurde, galt als »schüchterne Frau«. In den Jahren 1975 bis 1978 war sie die Leiterin des Siedlungshospitals. Noch bis ins Jahr 2002 arbeitete sie in der siedlungseigenen Apotheke. 1987 wurde in Chile schon einmal gegen sie ermittelt. Damals wegen des Todes des minderjährigen Herrmann Münch. Ohne eine Autopsie hatte die deutsche Ärztin den Tod bescheinigt. Das Kind war an den Folgen einer Kopfverletzung gestorben, die von einem Gewehrhieb herrührte. Das Verfahren wurde schließlich wegen Verjährung eingestellt. Gisela Seewald ist auch in Deutschland keine Unbekannte. Bereits im Februar 1988 wurden ihre menschenverachtenden Praktiken in einer Bundestagsanhörung zu Menschenrechtsverletzungen und Freiheitsberaubung in der Colonia Dignidad von ehemaligen Koloniebewohnern ausführlich geschildert. Passiert ist danach jedoch nichts. Jetzt hat Untersuchungsrichter Zepeda fünf Tage Zeit, um Anklage gegen Gisela Seewald wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzureichen. Ihr Mann Gerd Seewald wurde bereits im November 2004 zusammen mit 19 weiteren Siedlungsmitgliedern in Chile wegen Beihilfe zum Kindesmissbrauch in 26 Fällen zu fünf Jahren und einem Tag Haft verurteilt. Gegen das Urteil haben seine Verteidiger Berufung eingelegt. Unterdessen hat Chiles Oberster Gerichtshof am Dienstag erneut einen Antrag der Verteidiger des im Hausarrest sitzenden ehemaligen Diktators Augusto Pinochet auf Einstellung eines Verfahrens abgelehnt. Gegen Pinochet laufen derzeit mehrere Verfahre...

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