Gesetz des Schweigens gebrochen

Zwei mutmaßliche Auftragskiller aus dem Rockermilieu angeklagt

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey berichtet aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey berichtet aus Berliner Gerichtssälen

Es ist die Geschichte von Männerhass und Männerfreundschaft. Der eine, das Opfer André S. (48 Jahre), der andere, der mutmaßliche Auftragsmörder Holger B. (52). Beide sind schillernde Gestalten aus dem Rockermilieu, die versucht haben sollen, sich gegenseitig umzubringen. Angeklagt ist die zweite Tat gegen den Rockerpräsidenten des Hells-Angels-Ablegers »Nomads«, André S.

In der Nacht vom 9. auf den 10. Juni 2012, gegen 2.50 Uhr, wurde André S. beim Verlassen der Kneipe »Germanenhof« in der Zingster Straße in Hohenschönhausen neben seinem Motorrad mit sieben Schüssen niedergestreckt. Das Herz wird knapp verfehlt, weitere Kugeln treffen die Wirbelsäule und die Arme. Ärztliche Kunst kann ihn vor dem Tod bewahren. Schnell spricht es sich herum, wer hinter dem Anschlag stecken könnte: Sein einstiger Vorgänger und Ziehvater Holger B. Den hatte S. mit einem kalten Putsch 2008 aus dem Rocker-Amt gekippt und ihn vor seinem Haus in Altlandsberg mit Fäusten und Messern traktieren lassen - davon ist B. jedenfalls fest überzeugt. Ausgestoßen und vereinsamt, von Frau und Kind verlassen, sann er nach Rache, wie er dem neuen Boss eine knackige Lektion erteilen könnte.

Da kam ihm seine Leidenschaft für heiße Dämpfe zu Hilfe. Regelmäßig besuchte B. die Sauna im Europacenter am Bahnhof Zoo. Dort treffen sich viele russischsprechende Herren, um über Zigarettenschmuggel, Scheinhochzeiten, Autoschiebereien, illegale Schrottlieferungen oder Geldeintreiberaufträge zu plaudern. Einer von ihnen: der Deutsch-Ukrainer Michael W. (64). Dem erzählte der entmachtete und schwer gekränkte Ex-Boss seinen ganzen Kummer. Erst fand der stets klamme Michael den Holger gar nicht nett. Holger war mit Nazi-Symbolen volltätowiert, Michael stammt aus einer jüdischen Familie. Doch man kam sich näher über gemeinsame »Geschäfte«. Schließlich wurde die Idee geboren, dem aktuellen heiligen Engel-Boss eins auszuwischen: Mit einem Hammer sollte ihm die Kniescheibe zertrümmert werden. Mehr nicht, schließlich war man über viele Jahre befreundet. 20 000 Euro wollte B. springen lassen. W. sollte alles organisieren, B. wollte mit der Tat nicht in Verbindung gebracht werden. Die erste Anzahlung von 10 000 Euro erfolgte. Doch das Gangsterstück gestaltete sich schwieriger als geplant.

Der »Präsident« hatte eine Leibgarde, man kam nur schwer an ihn heran. Dann verschwanden die beiden Aufragnehmer, ein Russe und ein Lette mit der vorausgezahlten Kohle. Neue Leute mussten gesucht und gefunden werden. Schließlich bot sich der Ukrainer Oleg Tsch. an, der als »Tourist« extra für die Aufgabe nach Berlin kam. Er reiste nicht mit einem Hammer für die Kniescheibe an, sondern mit einer Pistole mit Schalldämpfer. Damit lasse sich bestens das Bein verunstalten, erklärte der Oleg seinem Geschäftspartner Michael. Nach der Tat waren Holger und Michael entsetzt. So war das Ganze nicht gemeint.

Vor Gericht wiesen die beiden Angeklagten Holger B. und Michael W. am ersten Verhandlungstag über ihre Anwälte den Mordvorwurf vehement zurück, gestanden aber den »Denkzettelplan« und die unzähligen krummen Geschäfte aus der Sauna im Europacenter. Mit Spannung wird nun die Aussage des Niedergeschossenen in den nächsten Verhandlungstagen erwartet, der sich von dem Attentat wieder gut erholt haben soll. Ob der »Präsident« plaudern wird, bleibt fraglich, denn für ihn gilt das eiserne Rockergesetz: Keine Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz. Schon zu DDR-Zeiten war S. ein Prügler vorm Herren, saß mehrfach wegen Gewalttaten ein. Wo er auftauchte, erhielt er Hausverbot. Der bullige Vollbartmann gehörte zur rechten Fan-Gemeinde des BFC und fand schließlich 2001 seine große Liebe: die Hells Angels.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal