Die vergessene Siedlung

Hubertus leidet unter dem Flugwesen - eine Entschädigung ist nicht in Sicht

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Flugwesen entwickelt sich, wie schon der Dichter wusste. Selbst in Schönefeld kommt es voran. Wenn auch ganz gemächlich. Im Ortsteil Hubertus kann man sich dennoch nicht so recht freuen. Den 28 Familien, die hier wohnen, gruselt es vor dem, was auf sie zukommt.

Die Familie Griep hat 1958 ihr Eigenheim in dieser Siedlung gebaut. »Damals flog hier nichts und niemand, es war angenehm ruhig«, erinnert sich Wolfgang Griep. Denn die Flieger kamen mehr über Bohnsdorf nach Schönefeld. Irgendwann in den 1960er Jahren wurde eine neue Rollbahn gebaut, die heutzutage noch benutzt wird. Die Maschinen überflogen nunmehr auch Hubertus. »Das waren aber so wenige, dass man manchmal neugierig zum Himmel schaute, wenn man eine hörte«, erinnert sich Griep. Doch das änderte sich 1990 schlagartig. Der Flugverkehr nahm erheblich zu.

Nunmehr befinden sich landende Flugzeuge noch etwa 100 Meter über dem Anwesen. Gefühlt freilich viel tiefer. Nicht nur wenn die ganz großen Flieger kommen, wird es hier dunkel am helllichten Tag. »Man denkt, es spukt auf dem Grundstück«, sagt Wolfgang Griep. Verwirbelungen biegen die Büsche noch hinunter, wenn die Maschinen längst gelandet sind. Circa zwei Kilometer von hier entfernt setzen sie auf.

»Wenn der BER in Betrieb geht, wird die Siedlung statistisch alle zwei Minuten überflogen - bei einer Lautstärke von 80 bis 90 Dezibel, fast doppelt so viel, wie offiziell als einigermaßen erträglich gilt«, erläutert ein Nachbar. Beim Start hört man den Fluglärm deutlich länger als bei der Landung, weil er sich erst über dem Müggelsee langsam verringert. Ein namhafter SPD-Bundestagsabgeordneter und Anwalt, der einige Anwohner vor sieben Jahren besuchte, sprach von einer Idylle, von einem Paradies, wenn nicht die Flieger wären. Der Politiker versprach, sich für eine angemessene Entschädigung einzusetzen. Seither hat man in dieser Sache nichts mehr von ihm gehört.

Andere Bürger weisen darauf hin, dass man bereits jetzt in den gelegentlichen Testphasen einen Dauerlärm von reichlich 80 Dezibel ertragen müsse. Landung, Schubumkehr und dann der nächste Anflug. Gewissermaßen alles wie an der Perlenschnur. Kuriosum am Rande: Wegen Lärmschutzes darf man mit dem Auto auf den asphaltierten Straßen im nahen Umfeld zwischen 22 und 6 Uhr nur 30 Kilometer pro Stunde fahren, Flugzeuge aber starten und landen bis 24 Uhr und wieder ab 5 Uhr. »Wenn es richtig losgeht, ist dieses Fleckchen Erde ohne beträchtliche gesundheitliche Schäden nicht mehr bewohnbar«, davon sind die Einwohner von Hubertus überzeugt. Wolfgang Griep ist überzeugt: »Daran ändern auch andere Flugrouten oder Steigwinkel nichts, denn die Flugzeuge müssen ja hier drüber.« Welche Belastungen durch Schadstoffe entstehen, ist bislang kaum zu überschauen.

»Die Flughafengesellschaft gab Gutachten in Auftrag, die nicht einmal ansatzweise eine Entschädigung zulassen, mit der wir uns etwas Neues suchen können.« Die amtlichen Bodenrichtwerte wurden um 40 Prozent herabgesetzt, Nebengebäude und Bepflanzungen nicht berücksichtigt. Die Betroffenen empfanden das Gutachten als »systematisch falsch« und einseitig im Sinne des Flughafens.

In einem Einzelverfahren wurde durch das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gesprochen, in dem es heißt: »Wenn das Eigentum, in dem der Betroffene wohnt, die wichtigste Grundlage seiner Existenz bildet und ihm ein selbstständiges unabhängiges Leben gewährleistet, ist nicht nach dem Verkehrswert, sondern adäquat zu entschädigen.« Die Bewohner von Hubertus müssten danach in die Lage versetzt werden, sich anderswo wieder etwas Gleichwertiges zu beschaffen. Sie möchten - nach geltendem Recht - so entschädigt werden, dass sie sich eine neue Immobilie suchen und so dem Übermaß an Lärm und Schadstoffen entfliehen können.

In dem Ort, der im sogenannten Übernahmegebiet des Flughafens liegt, fühlt sich die Vebölkerung abgekoppelt, wohl absichtlich vergessen, ist verbittert. Es scheint, als solle das Problem ausgesessen werden. Die Flughafengesellschaft hoffe wohl darauf, dass die Leute irgendwann aufgeben, denkt man in vielen Familien. Manche Bürger haben längst aufgegeben. Flughafen und Politik machten ja sowieso, was sie wollen, heißt es. Andere hoffen auch, dass es nicht so schlimm werde wie befürchtet.

»Es scheint tatsächlich niemanden zu geben, der uns zu unserem Recht verhilft«, sagt ein Bürger. Der Flughafen blockt ab. Kein Verantwortlicher erklärt sich bereit, mit den Leuten aus Hubertus zu reden. Schreiben an den Aufsichtsrat werden nicht beantwortet. Nachfragen des »nd« ebenfalls nicht. Post und E-Mails an Parteien bleiben ohne Echo. Oder es heißt in einem Zwischenbescheid, man werde sich das Problem anschauen, und das war es dann auch. Selbst Anwälte werden vertröstet. Sie tun sich schwer, so scheint es manchen Hubertusern. Das kriege man so nicht durch, laute die standardisierte Antwort auf Vorschläge oder Hinweise auf gängige Urteile und Verfahren. Denn es gebe keine Lobby für die Betroffenen. Deshalb sei es überaus schwierig, sie zu unterstützen.

Vertreter der Piratenpartei erwähnten bei einem Besuch von Wolfgang Griep, dass die Sorgen in Hubertus beileibe keinen Einzelfall darstellen. Man sei auch von mehreren anderswo Wohnenden angesprochen worden. Das stünde aber im Moment nicht auf der Tagesordnung des Flughafen-Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus. Aber irgendwann später …

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