Unabhängig fleischfrei

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Mit dem »Veggie Journal« wagt endlich ein Verlag den Versuch, alternative Ernährungs- und Lebensweisen nicht nur auf den Inhalt des Kochtopfes zu beschränken. Das Pilotheft macht Hunger auf eine Fortsetzung.

Beim regelmäßigen Gang zum Zeitschriftenhändler meines Vertrauens ärgere ich mich ständig über eine Lücke im Regal. Obwohl der Trend zur vegetarischen und veganen Lebensweise ungebrochen ist, klaffte auf dem Zeitschriftenmarkt bisher noch immer eine Lücke, wenn es um unabhängige Magazine zu Themen wie alternativer Ernährung, Tierrechte oder die ökologischen und sozialen Folgen unserer westlichen Lebensweise geht.

Was nicht heißt, dass es bisher keine gute Lektüre gab, wie etwa das Magazin »natürlich vegetarisch« des »Vegetarierbund Deutschland« beweist. Doch so manche Person könnte sich vielleicht an dem Gedanken stören, das Heft eines Interessenverbandes in den Händen zu halten, der eben auch mittels Printpublikationen für seine Ziele wirbt und mögen diese noch so richtig sein.

Genau diese Lücke versucht nun das »Veggie Journal« zu füllen. Das bereits im August veröffentlichte Pilotheft des alle zwei Monate erscheinenden Magazins lässt hoffen: Womöglich gibt es endlich ein unabhängiges Medium für Vegetarier und Veganer, dessen Themenspektrum sich nicht nur auf den Inhalt des Kochtopfes beschränkt und die eigentliche Idee hinter der alternativen Lebensweise nicht zum hippen Lebensgefühl für die kaufkräftige Oberschicht verkommen lässt. Was auch wiederum nicht heißt, dass Kochrezepte keinen Platz in einem klug durchdachten Heft bekommen sollten.

Bedient den Genussmenschen in uns

Das »Veggie Journal« erhebt für sich den Anspruch, den Genussmenschen in uns allen zu bedienen und gleichzeitig das Thema Nachhaltigkeit nicht zu vernachlässigen. Ein Spagat, der in der Erstausgabe über weite Strecken gelingt. Die zuständige Redaktion nimmt sich gleich zu Beginn Grundsatzfragen wie den Welthunger, vor und fragt, ob der Verzicht auf das Schweineschnitzel etwas am Problem ändern könnte. Das Fazit des mehrseitigen Beitrages dürfte eingefleischte Veggies dann auch wenig überraschen: Während die Mehrheit im Westen noch immer weit über den vertretbaren Verhältnissen konsumiert, holen Schwellenländer wie China und Indien in einem irrwitzigen Tempo auf – nicht nur beim Konsum von Fleisch.

Eine Entwicklung die fatale Folgen haben wird, sollte kein grundsätzlicher Bewusstseinswandel einsetzen. Neu ist diese Kritik nicht, auch die vorgebrachten Argumente dürften jahrelangen Veggies bekannt vorkommen. Schlecht ist der Beitrag dadurch nicht, denn das Magazin richtet sich vornehmlich nicht an die bereits Überzeugten, sondern an jene, die mit ihrer Lebensweise hadern, denen allerdings womöglich noch der notwendige letzte Anstoß fehlt. Das »Veggie Journal« gibt sich Mühe, die notwendigen Antworten zu liefern.

Damit eine weltweit gesehen Minderheit durch ihr Verhalten den Wagen, Modell »Erde«, nicht an die Wand fährt, engagieren sich Menschen wie der Schauspieler Hannes Jaenicke als politische Aktivisten. Im Interview verrät der Vegetarier, weshalb er sich selbst nicht als perfekt sieht und warum sein Beruf eigentlich nur schwer mit seinem Engagement für Mensch und Umwelt vereinbar ist. Dass das Interview mehr als dezent auf Jaenickes neues Buch zum Thema verweist, liegt leider in der Natur der Sache und der üblichen Selbstvermarktung prominenter Personen.

Mangold - ein Superstar

Der eigentliche Superstar des Pilotheftes ist allerdings kein Schauspieler, sondern ein in Vergessenheit geratenes Gemüse. Mangold wurde einst geliebt, dann verschmäht und geriet schließlich weitestgehend in Vergessenheit. Die »Veggie Journal«- Redaktion räumt dem Fuchsschwanzgewächs nicht nur einen Platz auf dem Cover ein, sondern verrät neben der bewegten Küchenhistorie des Mangolds, einige durchaus leckere Rezepte. Doch hier passiert etwas, das man bereits aus fast allen auf dem Zeitschriftenmarkt verfügbaren reinen Kochmagazine kennt. Mögen Mangold-Muffins und viele andere Küchenideen noch so schmackhaft sein, die Zutatenliste eignet sich insbesondere nicht für vegane Einsteiger, wenn den Alternativen zu Milch, Ei und Butter kein Platz eingeräumt wird, obwohl diese existieren. Eine Zeitschrift, die sich nach eigenen Anspruch auch an Veganer richtet, sollte für alle Rezepte die pflanzlichen Alternativen mindestens erwähnen.

Einen eher ungewöhnlichen Zugang - inklusive erstaunlicher Erkenntnis - liefert ein längerer Artikel zur Darstellung von Vegetariern im Kino und Fernsehen. Veggies werden, so das Fazit, von Hollywood häufig als die etwas merkwürdigen Freaks inszeniert. Im Verlauf der Handlung passen sich die vermeintlichen Außenseiter jedoch allmählich ihren »normalen« Umfeld an und erfahren dadurch eine breitere Akzeptanz durch ihre Mitmenschen. Um Anerkennung muss sich auch das »Veggie Journal« beim Leser erst einmal bemühen.

»Veggie Journal«, well media Verlag, alle zwei Monate, Preis: 3,90 Euro

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