Teutonischer Wahn

Germanenkult und Archäologie unterm Hakenkreuz

  • Ronald Sprafke
  • Lesedauer: 4 Min.

Erst seit rund anderthalb Jahrzehnten steht die Verstrickung von Politik und Archäologie im Fokus der Geschichtswissenschaft. Als das Ruhr Museum Essen vor drei Jahren mit der Ausstellung »Das Große Spiel - Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus (1860-1940)« die wechselseitige Beeinflussung thematisierte, war das Interesse riesig. Der Begleitband ist zu einem Standardwerk avanciert.

Wie Archäologie und Politik in der Zeit des Nationalsozialismus zusammenarbeiteten, war das Thema einer jüngst gezeigten Ausstellung im Focke-Museum Bremen, gemeinsam erarbeitet mit der Universität der Hansestadt. Auch dazu liegt nun eine beachtenswerte Publikation vor. Im Mittelpunkt steht der von der Naziideologie zelebrierte Germanenmythos, der noch heute die Gedanken- und Bilderwelt der rechten Szene dominiert - obwohl es »die Germanen« nie gegeben hat, wie auch nicht »die Kelten« oder »die Slawen«. Der römische Schriftsteller Tacitus hatte in seiner »Germania« (98 n. Chr.) die an der Nordgrenze des Römischen Imperiums, jenseits von Rhein und Donau lebenden Stämme schlicht zusammenfassend »Germanen« genannt, sie als riesig, rothaarig und blauäugig, mutig und kampfstark beschrieben. Mit der Entdeckung der einzigen erhaltenen Handschrift der »Germania« 1445 im Kloster Hersfeld begann der Germanenkult, der im antinapoleonischen Befreiungskrieg vor nunmehr 200 Jahren eine Blüte erreichte und schließlich von den Nazis auf die Spitze getrieben wurde. Selbst für den Autobahnbau wurde er ausgeschlachtet, Kontinuität mit Verweis auf den germanischer Knüppelweg behauptet. Die »Ahnen« waren im Alltag unterm Hakenkreuz omnipräsent. Plakate und Zeitungsannoncen warben für Germanenbrot und Germanenbier. Die Mainzer Firma Erdal, bekannt durch ihre Schuhcreme, verteilte an Schulen Stundenpläne mit germanischen Motiven. Vor allem wurde im Unterricht, aber auch außerschulisch, so in der Hitlerjugend, germanischer Heldenmut vermittelt.

In den Germanenkult wurde auch die Archäologie eingespannt. Alfred Rosenberg, Chefideologe der NSDAP, deklarierte: »Die Vor- und Frühgeschichte ist das Alte Testament des Deutschen Volkes.« 1934 wurde der »Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte« unter Leitung des Archäologen Hans Reinerth gegründet. Himmler forderte eine Erziehung im Sinne des nordischen und germanischen, »arischen« Menschen. 1935 rief der SS-Reichsführer die »Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe« ins Leben. Hitler selbst zeigte mehr Interesse an der Antike. Der Philologe Herman Wirth suchte die Wurzeln der europäischen Kultur im untergegangenen Atlantis, dessen Bewohner rassisch reine Arier gewesen sein sollen. Und der völkische Laienforscher Wilhelm Teudts deutete eine natürliche Felsformation bei Detmold als germanisches Heiligtum, als Sonnenobservatorium.

Obwohl Ausgrabungen nicht die von der NS-Führung erhofften Beweise für eine germanische Hochkultur erbrachten, wurde eine solche behauptet. Für den Architekten Hermann Wille waren jungsteinzeitliche Großsteingräber des Oldenburger Landes Vorläufer griechischer Tempel und gotischer Kathedralen. Rosenberg schloss sich dieser These gern an: »Die deutsche Geschichte beginnt nicht bei Karl dem Großen, sondern bei den Hünengräbern der Heide.« Für ihn war zudem Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen, Teilnehmer am Wendenkreuzzug 1147 zur Unterwerfung und Christianisierung der Slawen zwischen Elbe und Oder, Vorreiter der NS-Expansionspolitik gen Osten. 1935 wurde Heinrichs Grabstätte im Braunschweiger Dom geöffnet und der Sakralbau radikal zur nationalen Kultstätte umgestaltet. Eine der bedeutendsten Grabungsstätten in der NS-Zeit war der Wikinger-Handelsplatz Haithabu in Schleswig, freigelegt unter Leitung von Herbert Jankuhn, führendes Mitglied im »SS-Ahnenerbe«. Ab 1939 wurde auch intensiv in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten nach Spuren »germanisch« verwandter Stämme geforscht, so im annektierten Lothringen nach jenen der Merowinger. In Osteuropa durchkämmte das »Amt Rosenberg« unter Reinerth und das »Sonderkommando Jankuhn« die Museen nach »germanischen« Objekten, die ins »Reich« gebracht werden sollten. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion war das Sonderkommando Jankuhn der Waffen-SS angeschlossen. Aus der Ukraine rollten neun Eisenbahnwaggons mit vor- und frühgeschichtlichen Funden nach Deutschland; über eine halbe Million Objekte lagerten noch 1944 in Schloss Höchstädt in Schwaben.

Obwohl nach den alliierten Beschlüssen auch die Archäologen als belastet gelten mussten, hatten sie doch an der Propagierung des NS-Geschichtsbildes mitgearbeitet und waren an Plünderungen beteiligt, konnten sie nach Kriegsende ihre Karriere zumeist nahtlos fortsetzen. Reinerth wurde zwar als »schuldig« eingestuft, konnte jedoch bis 1990 als Direktor des Pfahlbaumuseums in Unteruhldingen am Bodensee tätig sein. Jankuhn leitete ab 1949 wieder die Grabung in Haithabu. Der für zwei Jahre von der US-Armee internierte Wirth kehrte 1954 nach Marburg zurück und wirkte unbehelligt als Privatgelehrter. Pikantes Detail: Das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum lehnte es ab, der Ausstellung im Bremer Focke-Museum Objekte aus Jankuhns Grabung zur Verfügung zu stellen.

Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz. Theiss Verlag. 216 S., geb., 29,95 €.

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