Mutti vons Janze

Der Regierende Bürgermeister wird 60 - Anlass genug, sein Wirken zu suchen

  • Sarah Liebigt
  • Lesedauer: 3 Min.

In sechs Jahren fängt für Klaus Wowereit das Leben an. Diese Behauptung orientiert sich an einem bekannten Beispiel österreichischer vertonter Dichtkunst und leitet anlässlich des heutigen Tages den Geburtstagsgruß an Berlins Regierenden Bürgermeister ein. Am 1. Oktober wird er 60 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch.

Seit 40 Jahren SPD-Mitglied, seit zwölf Jahren Regierender Bürgermeister der Hauptstadt und seit bald vier Jahren Vizechef der SPD auf Bundesebene.

Das nebenstehende Foto nun wurde auf dem Christopher Street Day 2011 aufgenommen. Urberlinerisch dicht dran an den Berlinerinnen und Berlinern, ab und mal mit Dialekt, immer so ein Schmunzeln in den Augenwinkeln und wortgewandt. So erlebt ihn, wer ihn während der Plenardebatten im Abgeordnetenhaus beobachtet oder sich beispielsweise an den Wahlkampf 2011 erinnert. Wo Renate Künast, die grüne Bürgermeisterin Berlins werden wollte, sich eher schwer tat mit dem Menscheln, der Nähe, dem lächelnden Small Talk und dem Händeschütteln, da bewegte sich Wowereit wie ein Fisch im Wasser. Um mal eine dieser geburtstagsgrußimmanenten Metaphern zu bemühen.

Doch all das ist Rückschau. Ein Blick auf eine die nächsten sechs Jahre beleuchtende Gegenwart ist spannender. Eigentlich. Denn es passiert genug in der Hauptstadt, zudem der Bürgermeister große Töne spucken, Berlins Weg leuchtend bunt ausmalen oder in anderer Wowereit›schen Art und Weise deutlich Position beziehen könnte.

Doch es ist still geworden um den gern als schillerndste Persönlichkeit der SPD bezeichneten Frontmann der Berliner Sozialdemokraten. Es scheint, als sei ihm das grandiose Scheitern der milliardenschweren personellen wie technischen Dauerbaustelle BER gehörig auf den Magen geschlagen: Die Eröffnung wird ein ums andere Mal verschoben. Wowereit gib den Chefposten im Aufsichtsrat auf und schweigt. Mehdorn und Amann zanken wie die Waschweiber - Wowereit schweigt, anstatt mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Die Energiewende in Berlin geht in die heiße Phase - Klaus Wowereit schweigt und lässt andere sich mit dem Koalitionspartner CDU streiten und öffentliche Statements abgeben zur energiepolitischen Zukunft der Hauptstadt. Die Freie Szene, die doch auch zu den Garanten des attraktiven »arm, aber sexy«-Berlins gehört, rebelliert und Wowereit sagt nichts. Doch wenn überbezahlte Persönlichkeiten wie die BER-Planer öffentlichkeitswirksam »diskutieren« oder wenn solche die Gemüter bewegenden Themen wie ein Stadtwerk auf der Tagesordnung stehen, täte ein Regierender Bürgermeister gut daran, dazu ebenso öffentlichkeitswirksam Stellung zu nehmen. Er muss ja nicht gleich in den Song des Energietisches »Dit wär wat für Berlin« einstimmen.

Einzig konkrete Aussage der politischen Leserei in Wowereits Händen ist wohl die, dass er nicht nochmal Vizechef der SPD werden will und im November nicht erneut kandidiert. Die immer wieder hochköchelnden Gerüchte sowohl um eine erneute Kandidatur Wowereits für den Chefsessel im Roten Rathaus als auch jene um bundespolitische Karrierebestrebungen wird dies nicht abkühlen lassen. Auch Jan Stöß wurde dabei als möglicher Konkurrent gehandelt. Zumindest die bundespolitische Nachfolge Wowereits will er nicht antreten, wie er kürzlich im nd-Interview versicherte.

Die selbstsichere Selbstironie einer »Mutti vons Janze« strahlt Wowereit nicht mehr aus. Nicht wenige Hauptstädter fragen sich, ob er sich nicht doch schon - und vorzeitig - von der Stadt verabschiedet hat.

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