Am Samstag wird besetzt

Obdachlose Familien wollen Aktionstag für Aneignung von leerem Wohnraum nutzen

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 4 Min.
Immer mehr Roma aus Bulgarien oder Rumänien kommen nach Berlin. Für sie ist es schwer, eine Unterkunft zu finden. Auch darum geht es am Samstag beim »Aktionstag für das Recht auf Wohnen«.

»Mieter aller Länder!« So beginnt ein anonymes Flugblatt, das derzeit in Berlin kursiert und das einen »Aufruf zum Besetzen« darstellt. Es geht um den europäischen Aktionstag für das Recht auf Wohnen, der am Samstag in vielen Städten mit Aktionen begangen wird. Für Berlin veröffentlichte das Bündnis »Wir bleiben alle« am Mittwoch eine Pressemitteilung mit der Ankündigung: »Am europaweiten Aktionstag wird auch in Berlin Leerstand besetzt, um damit bisher obdachlosen Menschen eine Unterkunft ermöglichen zu können.« Einer der »zukünftigen« Bewohner wird mit den Worten zitiert: »Ich lebe seit 2010 in Berlin und habe immer noch kein Obdach für meine Frau, meine zwei Kinder und mich finden können. Niemand vermietet hier Bulgaren oder Rumänen eine Wohnung. Für Familien gibt es auch keine Notunterkünfte. Darum müssen wir uns jetzt selber helfen.« Auf einer Demonstration, die um 14 Uhr am Kottbusser Tor in Kreuzberg beginnt, und im Internet soll bekannt gegeben werden, wo die Besetzung stattfindet. Die Zeilen des Betroffenen legen nahe: Es geht um Roma, die aus Bulgarien oder Rumänien zugewandert sind. Wer aus diesen Ländern kommt, hat ein Niederlassungsrecht, aber noch keine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis. Außer Kindergeld gibt es auch bisher keine staatlichen Hilfen. Seit Jahren werden immer wieder Fälle von in Berlin campierenden oder unter schlechten Bedingungen wohnenden Roma bekannt. Ende August wurden mehrere Dutzend Familien aus einer ehemaligen Gartenkolonie in Neukölln geräumt, die der Verlängerung der Autobahn A 100 weichen musste und längst an einen Slum erinnerte. In der Köpenicker Straße in Mitte leben in einer ehemaligen Eisfabrik seit über einem Jahr Dutzende Menschen, die sich in den vermüllten Hallen Verschläge gezimmert und Feuerstellen eingerichtet haben. Im Görlitzer Park in Kreuzberg werden seit Jahren im Sommer im Freien nächtigende Roma immer wieder vom Ordnungsamt vertrieben.

Um solche Familien hat sich Dila Maya bis vor kurzem als Honorarkraft in einem vom Senat finanzierten Projekt beim Roma-Verein Amoro Foro gekümmert. »Ein paar der Familien aus der geräumten Gartenkolonie sind in Wägen des Wagenplatzes Schwarzer Kanal in Neukölln aufgenommen worden«, weiß sie. »Andere schlafen in Autos um den Görlitzer Park herum oder auf der Cuvry-Brache in Kreuzberg.«

Maya hat Roma bei der Wohnungssuche geholfen und kann von deren Problemen berichten. Als das privatisierte Wohnungsunternehmen GSW eine Wohnung »nicht an Ausländer« vermieten wollte, stellte Maya bei einem Blick ins Allgemeine Gleichstellungsgesetz fest, dass dort in Paragraf 19 eine Ausnahme vorgesehen ist: »Bei der Vermietung von Wohnraum ist eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig«, heißt es dort. Wenn also schon eine gewisse Zahl Armer, oder armer Roma in einem Haus lebt, kann weiteren Menschen, die zu einer solchen Gruppe gerechnet werden können, eine Wohnung verwehrt werden, ohne dass das dem Diskriminierungsverbot widerspricht. Die GSW habe angegeben, in einem anderen Haus freie Wohnungen auch für Ausländer zu haben, habe dann aber wegen der fehlenden Deutschkenntnisse der Wohnungssuchenden weiteren Kontakt abgelehnt, berichtet Dila Maya. Doch auch bei einem städtischen Wohnungsunternehmen sei sie mit ihrer Klientel abgeblitzt. »Die Gesobau sagte uns: An Rumänen und Bulgaren vermieten wir keine Wohnungen mehr«, sagt Maya.

Die neuesten EU-BürgerInnen haben es also schwer bei der Suche nach einer Wohnung ohne zwielichtigen Vermieter, der Wucherpreise verlangt. Ohne Meldeadresse aber gibt es weder Kindergeld noch Krankenversicherung und kaum einen Arbeitsplatz. In der Obdachlosigkeit stoßen sie außerdem zusätzlich auf ein besonderes Problem: »Es gibt in Berlin keine einzige Notunterkunft, die für Familien geeignet ist. Nur die in der Franklinstraße in Charlottenburg nimmt gelegentlich Familien auf«, sagt Maya. »Und selbst dort müssen sie jeden Morgen raus und dürfen erst um 18 Uhr wieder rein.«

Amaro Foro fordert schon seit Jahren »unbürokratische Notfallhilfe«. Beim Verein heißt es: »Vereine und Organisationen, die Unterstützung anbieten, sehen sich einem enormen Druck ausgesetzt und müssen unkonventionelle Lösungen finden, um Familien nicht in die Kälte zu schicken. Viele Unterstützungseinrichtungen schlagen deshalb Alarm, und das nicht erst seit heute. Die Situation von obdachlosen Familien ist bereits seit 2009 bekannt.«

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