Schüler-BAföG künftig immer 100 Euro

Schlussfolgerungen aus einer Studie: Erste Stufe von 50 Euro wird angehoben

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Landesregierung liest aus einer unabhängigen Studie eine Bestätigung für ihr vor drei Jahren eingeführtes Schüler-BAföG heraus. Kritik gibt es aber auch, und Korrekturen sind auf dem Wege.

Statt einer Beihilfe von 50 oder 100 Euro monatlich soll es künftig für bedürftige Abiturienten nur noch einheitlich 100 Euro Schüler-BAföG geben. Das ist eine der Schlussfolgerungen der rot-roten Landesregierung aus einer Studie der Technischen Hochschule Wildau.

»Wissenschaftliche Untersuchung der Umsetzung und Wirkung des Brandenburgischen Ausbildungsförderungsgesetzes« heißt das Werk, mit dem sich die Landesregierung im Großen und Ganzen bestätigt sieht. »Die Förderung der begünstigten Zielgruppe hat sich als zweckmäßig und richtig erwiesen«, findet die rot-rote Regierung.

Kritisiert wurde von den Forschern aber auch, dass selbst drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes die Möglichkeit, Schüler-BAföG vom Land zu erhalten, noch nicht genügend bekannt sei. Viele Jungen und Mädchen wurden sogar erst durch die Untersuchung darauf aufmerksam, dass es eine Chance gibt, 50 oder 100 Euro im Monat vom Land zu bekommen. Warum Schulleitungen und Lehrer in vielen Fällen nicht darüber informieren, ist unklar.

Auch der hohe Verwaltungsaufwand durch den bislang gestaffelten Betrag wird kritisch gesehen. Dem Anliegen, ärmeren Schülern den Zugang zur Oberstufe zu erleichtern, werde auch dadurch nicht gedient, dass gerade bei getrennt lebenden Eltern die Auskunft zur Einkommenslage manchmal durch den Vater oder die Mutter einfach verweigert wird. Hier müsse die Abneigung einkalkuliert werden, »dem ehemaligen oder getrennt lebenden Partner die eigenen Vermögensverhältnisse offenzulegen«. Im Gespräch könnte durch das Amt für Ausbildungsförderung die Möglichkeit zur Geheimhaltung der Einkommensverhältnisse explizit dargelegt werden, regt die Studie an.

Ganz wesentlich aber ist: Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der finanziellen Unterstützung und dem Bildungserfolg ärmerer Schüler lässt sich nicht nachweisen. Hier hat sich die Situation sogar deutlich verschlechtert. In einem jüngsten innerdeutschen Vergleich zeigte sich, dass nirgends so sehr wie in Brandenburg der schulische Erfolg vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Vor einigen Jahren wies Brandenburg hier noch die günstigsten Werte der gesamten Bundesrepublik auf. Das muss aber nicht heißen, dass die bisherigen Zahlungen vergeblich waren. Vielleicht wäre es ohne dies noch schlimmer. Und es man könnte auch meinen, dass eine finanzielle Unterstützung wie das Schüler-BAföG nun nötiger ist den je.

Die rot-rote Koalition bleibt dabei: Das Schüler-BAföG habe sich als flächendeckendes Mittel zum Ansporn beim Lernen etabliert. Insgesamt wurden für das vergangene Schuljahr 2532 Anträge eingereicht, die zumeist bewilligt worden sind. 2267 Schüler haben monatlich 100 Euro erhalten, 59 Schüler bekamen 50 Euro. Gezahlt wurde in sämtlichen Landkreisen und kreisfreien Städten. Mit 236 Anträgen und 210 Bewilligungen führt der Kreis Oberhavel die Statistik an. In der Prignitz hatten 93 Schüler einen Antrag gestellt, 87 mit Erfolg. Laut Wissenschaftsministerin Sabine Kunst (für SPD) bewarben sich vor allem Gymnasiasten um ein Schüler-BAföG. 1199 Gymnasiasten bekamen die Zuwendung, ferner 599 Fachoberschüler und 528 Gesamtschüler.

Ein wenig erinnert die Praxis an eine Gepflogenheit aus den letzten Jahren der DDR. Damals gab es analog zum Lehrlingsgeld für die Schüler der 11. Klasse 110 Euro monatlich und für die Schüler der 12. Klasse 150 Euro - und zwar für alle Schüler unabhängig vom Einkommen der Eltern. Dahinter stand der Gedanke, dass talentierte Jugendliche nicht deshalb auf das Abitur verzichten sollten, weil sie selbst Lehrlingsgeld einstreichen wollen oder weil die Eltern vom Sohn oder von der Tochter ein Kostgeld haben möchten. Gerade in Arbeiterfamilien wurde eine solche Rechnung manchmal aufgemacht. Studenten erhielten einheitliches, elternunabhängiges Stipendium, das wegen sehr billiger Wohnheimplätze und geringen Essensgeldes in der Mensa bei bescheidenem Lebensstil ausreichte.

Das Schüler-BAföG war vor der Landtagswahl 2009 ein Lieblingsprojekt der SPD. Die LINKE war seinerzeit der Ansicht, dass eine frühe Förderung von Arbeiterkindern schon im Kindergarten und in der Grundschule besser wäre, weil sonst Kinder aus einkommensschwachen Familien möglicherweise gar nicht erst so gute Zensuren schaffen, die sie zum Wechsel an ein Gymnasium berechtigen. Das fanden auch die Grünen. Die LINKE meinte im Unterschied zur Ökopartei jedoch, dass die Grundidee des Schüler-BAföGs dennoch richtig sei und die Zahlung ja wirklich eine Hilfe für arme Familien wäre. Deshalb einigten sich SPD und LINKE auf die Einführung des Schüler-Bafögs. Die rot-rote Koalition sah sich dann mit einem zum Teil wütenden Widerstand von CDU, FDP und Grüne konfrontiert.

Die Opposition erneuerte jetzt ihre Kritik. Das Schüler-BAföG sei »Kosmetik an einer verfehlten Bildungspolitik«, erklärte FDP-Fraktionschef Andreas Büttner. Die Studie selbst sei »zweifelhaft« und lasse »keinerlei Aussage über den Nutzen der Förderung zu. «Das ›Schüler-BAföG‹ ist von Anfang an nichts als ein Prestigeprojekt von Rot-Rot. Dadurch wird weder die in Brandenburg unverändert mangelhafte Bildungsqualität verbessert, noch hilft es gegen den anhaltend hohen Unterrichtsausfall.» Es trage eben nicht zu besseren Bildungsergebnissen bei, «wenn die Landesregierung Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien monatlich 100 Euro schenkt». Es hätten bei der Untersuchung nicht allein die begünstigten Schüler befragt werden sollen, «sondern auch Pädagogen, Eltern und Wissenschaftler».

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