Zugentgleisung weiter unaufgeklärt

Ermittlungen förderten bisher nur viele unbeantwortete Fragen ans Licht

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch nach viereinhalb Monaten gibt es noch keine amtlichen Hinweise auf die Ursachen der schweren Entgleisung eines Güterzugs im Mittelrheintal.

Der 620 Meter lange, leere Zug war am 9. Juni gegen 5.30 Uhr auf dem Weg von den Niederlanden nach Österreich in Lorch teilweise entgleist und hatte die aus den Schienen gesprungenen hinteren Waggons noch gut zehn Kilometer weit mitgezogen. Dabei wurden Schwellen, Kabelschächte, Weichen, Signalmasten und Geländer beschädigt. Aufgewirbelte Schottersteine flogen durch die Luft und zerbeulten im Weinort Assmannshausen abgestellte Autos. Nur weil an jenem Sonntagmorgen die Straßen leer waren, wurde niemand verletzt. Die stark frequentierte rechtsrheinische Bahnstrecke zwischen Wiesbaden und Koblenz blieb tagelang gesperrt. Nach wie vor stehen die vier beim Unfall zerbeulten und schrottreifen Autotransportwagen wie ein Mahnmal auf unbenutzten Gleisen bei Rüdesheim.

Wie Sprecher von Bundespolizei und Eisenbahn-Bundesamt auf nd-Anfrage bestätigten, sind die Ermittlungen noch in vollem Gange. Während ein vorsätzlicher Eingriff Außenstehender in den Eisenbahnbetrieb als Ursache ausscheidet, konzentrieren sich nun die Ermittlungen auf zwei Bereiche: den Zustand von Gleisen, Weichen und Gleisbett sowie den Zustand der Fahrzeuge.

Der Unfall und die lange Dauer der Ermittlungen werfen viele Fragen auf. Manchen in Initiativen gegen den Bahnlärm zusammengeschlossenen Anwohnern erscheint es ungewöhnlich, dass der Lokführer minutenlang nichts bemerkte. Unklar ist, ob die erst 2012 nach EU-Vorgaben auch im Mittelrheintal modernisierten Warnsysteme versagten. Zudem rissen bei der Entgleisung der hinteren Wagen auch nicht die Bremsschläuche, was üblicherweise eine Bremsung auslöst. Gerüchte besagen, dass ein Schrankenwärter in Assmannshausen die Entgleisung bemerkt und den Nothalt per Telefon am nächsten Signal veranlasst hatte. Nach anderen Meldungen war der ferngesteuerte Bahnübergang nicht besetzt und wurde die Fahrtdienstleitung im fernen Frankfurt (Main) per Computer auf die Entgleisung aufmerksam.

Die Beteiligten halten sich bedeckt. Eine lückenlose Aufarbeitung möglicher Schadenersatzansprüche dürfte durch die Vielzahl Beteiligter erschwert werden. Nach wie vor ist nicht ausgeschlossen, dass ein schlechter Zustand der Trasse die Entgleisung verursachte. Andernfalls dürfte die Bahn-Tochter DB Netz AG als Betreiberin die Kosten für die Instandsetzung sowie entgangene Trassengebühren als Folge tagelangen Stillstands von anderen einklagen. An dem Güterzug waren mindestens vier Firmen beteiligt: Die Lok stammt von der österreichischen Güterbahn Wiener Lokalbahnen Cargo, die Güterzüge zwischen Balkan, Mitteleuropa und Beneluxländern betreibt. Die Autotransportwagen gehören dem französischen Touax-Konzern, der europaweit auf Waggonleasing spezialisiert ist. Mieter der Waggons dürfte eine weitere Logistikfirma sein, die den Transport fabrikneuer rumänischer Pkw zu Nordseehäfen organisiert. Der beteiligte Lokführer steht bei der bayerischen Privatbahn Internationale Gesellschaft für Eisenbahnverkehr GmbH & Co. KG (IGE) in Lohn und Brot. Die setzt nach eigenen Angaben Triebfahrzeugführer auf Güterzügen ab Passau »auf allen Hauptstrecken in Deutschland« ein. So könnte sich ein mögliches Gerichtsverfahren lange hinziehen und Szenen produzieren, wie sie schon nach der Privatisierung der britischen Eisenbahn legendär wurden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal