Der Kuschelvorwurf ist Populismus

Justizminister Volkmar Schöneburg über seine Pläne für den Jugendarrest

  • Lesedauer: 4 Min.
Der 1958 in Potsdam geborene Dr. Volkmar Schöneburg (LINKE) ist seit November 2009 brandenburgischer Justizminister und damit erster und bislang auch einziger Justizminister seiner Partei in der Bundesrepublik. Schöneburg studierte an der Ostberliner Humboldt-Universität, schrieb seine Doktorarbeit zum Kriminalwissenschaftlichen Erbe der KPD in der Weimarer Republik und arbeitete im Zentralinstitut für Philosophie an der DDR-Akademie der Wissenschaften. Vor seiner Ernennung zum Justizminister arbeitete Volkmar Schöneburg als Rechtsanwalt. Mit ihm sprach Andreas Fritsche.

nd: Sie wollen den Jugendarrest im Land Brandenburg erstmals durch ein besonderes Gesetz regeln. Warum?
Volkmar Schöneburg: Der Vollzug des Jugendarrestes greift in Grundrechte der Jugendlichen ein. Eingriffe in Grundrechte bedürfen aber einer gesetzlichen Grundlage. Bisher gibt es jedoch kein Jugendarrestvollzugsgesetz in Brandenburg, sondern nur wenige im Jugendgerichtsgesetz und im Strafvollzugsgesetz enthaltene Einzelbestimmungen. Auch die Jugendarrestvollzugsordnung des Bundes stammt aus dem Jahre 1976 und wurde erst 2011 durch den Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter kritisiert. Insofern besteht Regelungsbedarf. Das Anliegen ist, nicht nur die wesentlichen Eingriffsermächtigungen zu normieren, sondern den Jugendarrest als stationäres soziales Training zeitgemäß auszugestalten.

Eine Jugendarrestanstalt ist kein Gefängnis. Wo liegt der Unterschied?
Der Jugendarrest wird nach dem Jugendgerichtsgesetz als »Zuchtmittel« von den Gerichten angeordnet, wenn den Jugendlichen eindringlich zu Bewusstsein gebracht werden soll, dass sie für das von ihnen begangene Unrecht einzustehen haben. Der Jugendarrest ist also keine Strafe. Das bedeutet, dass über den Freiheitsentzug hinausgehende Beschränkungen so gering wie möglich bleiben müssen. Deshalb verzichtet beispielsweise unser Entwurf auf Hausstrafen wie Entzug des Lesestoffes, Absonderung beziehungsweise Verbot von Außenkontakten.

Fakten
  • Freizeitarrest wird für die wöchentliche Freizeit der Jugendlichen verhängt für eine oder zwei Freizeiten.
  • Kurzarrest gibt es statt des Freizeitarrestes, wenn der zusammenhängende Vollzug aus Gründen der Erziehung zweckmäßig erscheint und weder die Ausbildung noch die Arbeit der Jugendlichen beeinträchtigt werden. Dabei stehen zwei Tage Kurzarrest einer Freizeit gleich.
  • Ein Dauerarrest beträgt mindestens eine Woche und höchstens vier Wochen.

Wer kommt für einen Jugendarrest in Frage? Wie alt muss man sein und was muss man verbrochen haben?
Man muss zum Tatzeitpunkt zwischen 14 und 20 Jahre alt gewesen sein und eine leichte bis mittelschwere Tat verübt haben. In diesem Jahr hatten beispielsweise knapp 30 Prozent der Arrestanten in Brandenburg Diebstähle begangen und etwa 13 Prozent einfache Körperverletzungsdelikte. Weitere 30 Prozent saßen lediglich wegen Nichterfüllung von Weisungen und Auflagen ein. Also: Es geht bei den Arrestanten nicht um die sogenannten Intensivtäter. Vielmehr geht es darum zu verhindern, dass aus Arrestanten Intensivtäter werden.

Der Landtagsabgeordnete Danny Eichelbaum (CDU) wirft ihnen vor, einen »Kuschelarrest« zu planen. Wie lauschig wird der Arrest, der Ihnen vorschwebt? Halten Sie nichts von Strafen?
Eichelbaum geht von der Fehlannahme aus, dass mehr Härte auch mehr Effizienz in der Zurückdrängung der Jugendkriminalität bringe. Im Übrigen hat die angestrebte Auseinandersetzung mit der Tat und das soziale Training im Arrest nichts mit Kuscheln zu tun. Die Arrestzeit muss zu einer intensiven pädagogischen Arbeit mit dem Jugendlichen genutzt werden, um nach neuen Wegen für ein Leben ohne Straftaten zu suchen. In diesem Kontext müssen die Jugendlichen gefördert, aber auch im Sinne einer Verhaltensänderung gefordert werden. Der Kuschelvorwurf ist blanker Populismus.

Bezweifeln Sie, dass die Gefahr, eingesperrt zu werden, Jugendliche von Straftaten abhält?
Aus der Sanktionsforschung wissen wir, dass insbesondere ein hohes Entdeckungsrisiko und eine zeitnahe Auseinandersetzung mit der Tat präventiv wirken. Die Höhe der Strafe spielt hingegen eine untergeordnete Rolle. Aus Studien geht hervor, dass der Freiheitsentzug nach dem Erleben des Arrestes für die Jugendlichen oft seinen Schrecken verliert.

Wie hoch ist die Rückfallquote von Jugendlichen, die einmal im Jugendarrest gesessen haben?
Nach den bundesweiten Untersuchungen liegt die Quote bei 60 bis 70 Prozent. Das ist gerade ein Grund, den Arrest nicht als Verwahrvollzug, sondern konsequent als kurzzeitpädagogische Maßnahme auszugestalten und auf eine Nachsorge beziehungsweise Nachbetreuung zu orientieren.

Richter Andreas Müller aus Bernau, der bei der Bundestagswahl 2002 für die LINKE kandidierte, wünscht sich die Möglichkeit, Jugendliche länger in den Arrest zu stecken, damit sie dort beispielsweise eine Drogentherapie machen können. Was halten Sie davon?
Von einer Verlängerung der Arrestzeit über die bisher möglichen vier Wochen hinaus halte ich nichts. Die von Müller angedachten drei Monate reichen für eine Drogentherapie auch nicht aus. Unser Ansatz ist, den drogenabhängigen Jugendlichen nach einer Suchtberatung aus dem Arrest heraus in eine solche Therapie zu vermitteln.

Der bisherige, ziemlich provisorische Jugendarrest in Containern in Königs Wusterhausen hat 17 Plätze. Ein Neubau mit 23 Plätzen ist geplant. Wie ausgelastet ist der bisherige Arrest und wann beginnt der Neubau?
2012 sind in Brandenburg 388 Arreste vollzogen worden. Die Anstalt war durchschnittlich mit zehn Jugendlichen belegt. Der Bau der neuen Einrichtung beginnt 2014.

Vor einem Jahr gab es ein neues Strafvollzugsgesetz mit einem ähnlichen Ansatz wie jetzt für das Jugendarrestgesetz. Sie wollten die Rückfallquote senken und so die Bürger besser vor Verbrechen schützen. Gibt es schon messbare Erfolge?
Das neue Justizvollzugsgesetz ist seit dem 1. Juni 2013 in Kraft. Von daher können Aussagen zu seiner Wirksamkeit noch nicht getroffen werden, aber ein Absenken der Rückfallquote um fünf Prozent wäre schon ein Gewinn.

Im kommenden Jahr ist Landtagswahl. Möchten Sie Minister bleiben?
Es wäre natürlich reizvoll, das Justizvollzugsgesetz, das Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz und möglicherweise das Jugendarrestvollzugsgesetz in der nächsten Legislaturperiode mit Leben zu erfüllen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal