»Wir stehen zusammen!«

Lampedusa-Flüchtlinge fordern bei einer Hamburger Demonstration Aufenthaltsrecht und Arbeitserlaubnis

  • Susann Witt-Stahl
  • Lesedauer: 3 Min.
Vertreter der in der Hansestadt gestrandeten Flüchtlinge dementierten Gerüchte einer Spaltung der Gruppe. Sie lehne weiterhin den »faulen Kompromiss« des Senats ab, sagte ein Sprecher.

Sie haben noch nicht die Verhältnisse zum Tanzen gebracht, aber die zweitgrößte Stadt Deutschlands mächtig in Bewegung. Die Gruppe »Lampedusa in Hamburg« zog am Samstag zu Klängen von Bob Marleys »Get up, stand up, stand up for your rights …« und Vuvuzelas durch die Hamburger Innenstadt. Nach Veranstalterangaben wurden sie dabei von rund 15 000 Sympathisanten begleitet - ein überwältigendes Zeichen der Solidarität. Die Polizei, die mit 800 Beamten im Einsatz war, hatte im Vorfeld lediglich mit 3 500 Demonstranten gerechnet und gab nun die Teilnehmerzahl mit 9000 an.

Zu der Großdemonstration unter dem Motto »Aufenthaltsrecht für ›Lampedusa in Hamburg‹« hatten die norddeutschen Flüchtlingsräte, Pro Asyl, »Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigranntInnen« und viele andere Initiativen aufgerufen. Die Flüchtlinge und ihre Unterstützer skandierten immer wieder: »We are here to stay« und »Olaf Scholz: genug gehetzt, Bleiberecht wird durchgesetzt!« Auf Bannern war »You‘ll never walk alone« und »Fuck SPD!« zu lesen.

Der SPD-Senat hat zwar die Polizeischikanen gegen die 300 Flüchtlinge, zumindest vorerst, eingestellt. Er bietet aber weiterhin nur eine Einzelfallprüfung von Anträgen auf Duldung an - also eine Aufschiebung der drohenden Abschiebungen, die jederzeit widerrufen werden kann. Die evangelische Nordkirche, die einem Teil der Flüchtlinge in ihren Einrichtungen Unterschlupf gibt, empfiehlt, das Senatsangebot anzunehmen. Die Lampedusa-Flüchtlinge hingegen verlangen die Anwendung von Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes für alle. Danach kann bestimmten Gruppen aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen ein Aufenthaltsrecht gewährt werden, das auch eine Arbeitserlaubnis beinhaltet. Die Flüchtlinge wollen ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten und wären bereit, auf Sozialleistungen zu verzichten. Eine aus ihren Sprechern und zivilgesellschaftlichen Institutionen zusammengesetzte Kommission soll eine praktikable Lösung ausarbeiten, so ihr Vorschlag.

Entgegen Medienberichten der vergangenen Tage, in denen von einer Spaltung der Gruppe die Rede war, versicherten Sprecher von »Lampedusa in Hamburg«, dass die Gruppe den »faulen Kompromiss« des Senats weiterhin ablehne. »Alles andere ist ein Gerücht. Wir stehen zusammen!«, betonte Sprecher Kofi Anane Mark.

»Wir haben in Libyen gelebt und gearbeitet - auch noch, als bereits Kämpfe zwischen Rebellengruppen und Regierungskräften ausgebrochen waren«, erinnerten die Afrikaner in einer gemeinsamen Erklärung noch einmal an die Gründe ihrer Flucht. »Mit dem Eintritt der NATO in den Konflikt eskalierte der Krieg im ganzen Land. Unter Verlust von allem, was wir besaßen, den Tod ständig an unserer Seite, erreichten wir Lampedusa.« Nun sollen sich die Kriegsherren des Westens endlich ihrer Verantwortung stellen und den Menschen in ihrer großen Not helfen, lautet eine Forderung der Flüchtlinge.

Einige ergriffen auf dem Demo-Lautsprecherwagen das Wort. »Ich wandere durch die Welt und weiß nicht, wo mein Zuhause ist«; »viele von uns sind auf der Flucht Futter für die Fische geworden«, berichteten sie von ihrer verzweifelten Lage. »Wir brauchen Freiheit und Liebe - bitte gebt uns das!« Andere Flüchtlinge sprachen über die Rüstungsexporte der Europäer nach Afrika. Und sie forderten die »Überwindung des verrotteten Systems«, das die inhumanen Zustände, denen unzählige Millionen von Menschen schutzlos ausgeliefert sind, immer wieder aufs Neue produziere.

»Sie sagen, sie vertreten das Recht, und sie meinen ihren Besitz«, kritisierte der Schauspieler und aktive Gewerkschafter Rolf Becker Politik und Unternehmertum. Er mahnte die Regierung, ihre Arroganz nicht auf die Spitze zu treiben. »Sie überhören das Signal, das hier und heute von Hamburg ausgeht und weltweit ein Echo finden wird.« Der Senat habe die Möglichkeit, den Flüchtlingen das Bleiberecht zu gewähren, er wolle dies aber nicht tun, kritisierte Becker. »Wir werden ihm den Weg zeigen.«

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