Seniorin mit Liebe zum scharfen Metall

Anklage wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung gegen eine 74-Jährige aus Hohenschönhausen

  • Lesedauer: 3 Min.

Kriminelle Gewalt ist eigentlich seit Menschengedenken eine männliche Angelegenheit. Noch dazu, wenn ein Messer im Spiel ist. Hahnenkämpfe unter Jugendlichen werden nicht selten mit scharfen Klingen ausgefochten. Frauen - rund fünf Prozent aller Gewalttäter - sollen die Bratpfanne oder das Nudelholz vorziehen, so sagen es die althergebrachten Klischees. In dem vorliegenden Fall ist die Sachlage etwas anders. Die mutmaßliche Täterin ist weiblich und im stolzen Alter von 74 Jahren. Am Montag begann der Prozess gegen die Rentnerin Hildegard-Eugenie S. wegen Körperverletzung, versuchter schwerer Körperverletzung und Beleidigung.

Der Auftakt verzögerte sich um einige Stunden. Die alte Dame, die in der geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses in Untersuchungshaft sitzt, hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, vor Gericht zu erscheinen. Schließlich wurde sie mit der tatkräftigen Hilfe mehrerer Beamter in den Gerichtssaal geführt. Sie machte einen verwirrten Eindruck, war aber durchaus in der Lage, die Fragen des Vorsitzenden Richters klar und umfassend zu beantworten. »Ich bin nicht gekommen«, erklärte sie dem Gericht, »man hat mich hierher gezerrt«.

Nur wenig ist über sie zu erfahren. Ledig ist sie, keine Kinder, seit dem 27. August sitzt sie in Untersuchungshaft. Am 14. August hatte sie bereits wegen eines Messerangriffs vor Gericht erscheinen sollen. Als die Beamten vor ihrer Wohnungstür in Hohenschönhausen erschienen, öffnete sie sie einen Spalt, um dann unter wüsten Beschimpfungen ein Messer zu zücken. Ein SEK-Trupp rückte an und öffnete die Tür mit Gewalt. Hildegard-Eugenie S. kam in Haft. Aus Sicht der alten Dame wurde sie von der Polizei brutal überfallen und zusammengeschlagen. Als Beweis hält sie ihre Brille hoch. »Kurz und klein haben sie die geschlagen.« Der Richter überhörte die Beschuldigung gegen die Staatsmacht und ging zum eigentlichen Geschehen über, weswegen die Seniorin angeklagt ist.

Es war der 1. März 2012. Da ging es der alten Frau nicht besonders, sagt sie selbst. Sie befand sich gerade auf einer Wanderung auf dem Sterndamm in Johannisthal, als sie gegen 17 Uhr von einem zutiefst menschlichen Bedürfnis gepackt wurde. Sie sah einen Müllcontainer, schob ihn vor den Hauseingang, um sich dahinter auszuschütten. Eine Anwohnerin reagierte etwas unfreundlich und forderte die Alte auf, die Ferkelei zu beseitigen. Doch statt reuemütig das Haupt zu senken, griff S. laut zeternd in ihre Handtasche. Nicht eine Hundeabfalltüte kam zum Vorschein, sie hatte plötzlich ein Messer in der Hand und fuchtelte damit wild vor dem Gesicht der überraschten Anwohnerin herum. Eine zweite Mieterin traf sie mit einem harten Haken voll ins Gesicht. Dann war die Polizei zur Stelle.

»Das ist alles gelogen, ich habe diese Person nicht angegriffen. Ich gehe doch nicht mit einem Messer auf die Leute los. Die Frau will mich nur erpressen«, beschwert sie sich. »Ja«, gestand sie, »ich habe immer ein kleines Obstmesser bei mir, das bleibt aber in der Tasche«. Doch was der Richter als Beweisstück vor sich zu liegen hatte, war alles andere als ein Kinderspielzeug. »Das sieht ja aus wie ein richtiger Dolch, das ist nicht mein Messer«. Den Einwand des Richters, dass ihr dieses Messer am Tatort aus der Hand genommen wurde, schmetterte sie ab.

An dieser Stelle wurde die Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung ausgeschlossen - zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Angeklagten. In dem Verfahren wird es nur noch darum gehen, die Frau für immer in einer geschlossene Einrichtung unterzubringen, denn in Freiheit bleibt sie gefährlich für ihre Umwelt.

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