Skandal im Sportpalast
Kalenderblatt
Die Menge tobt. »Wenn wir Nationalsozialisten uns schämen«, skandiert ein gewisser Reinhold Krause, »eine Krawatte vom Juden zu kaufen, dann müssten wir uns erst recht schämen, irgendetwas, das zu unserer Seele spricht, das innerste Religiöse vom Juden anzunehmen.« 20 000 »Deutsche Christen« applaudieren begeistert ihrem Gauobmann an diesem 13. November 1933 im Berliner Sportpalast. Dieser fährt fort: »Hierher gehört auch, dass unsere Kirche keine Menschen judenblütiger Art mehr in ihren Reihen aufnehmen darf. Wir haben nicht nur die Judenmission bekämpft, sondern wir haben immer wieder betont: judenblütige Menschen gehören nicht in die Volkskirche, weder auf die Kanzel, noch unter die Kanzel. Und wo sie auf den Kanzeln stehen, haben sie so schnell wie möglich zu verschwinden.«
Ende Juli 1933 hatten die Hitlertreuen »Deutschen Christen« die reichsweiten Kirchenwahlen zu den Synoden und Gemeinderäten gewonnen, aber damit noch keine vollständige Macht über den Kirchenapparat erlangt. Zu ihrem Unmut war der »Arierparagraph« noch nicht in allen Landeskirchen umgesetzt. Deshalb forderte ihr Gauobmann »die Befreiung von allem Undeutschen im Gottesdienst.«
Krauses Rede wurde im Rundfunk übertragen. Vor allem seine Forderung nach einer »heldischen Jesusgestalt« als Grundlage eines »artgemäßen Christentums« bedeutete einen schweren Bruch mit der Tradition. In der evangelischen wie katholischen Kirche kommt dem Karfreitag, dem Leiden Jesu, eine zentrale Bedeutung zu. Die Proklamation eines heldischen Jesus war ein unglaublicher Affront!
So bestürmten am Morgen danach die Berliner Pastoren Gerhard Jacobi, Martin und Wilhelm Niemöller den von Hitler protegierten Reichsbischof Müller mit einem Ultimatum: Er müsse umgehend die Schirmherrschaft für die »Deutschen Christen« niederlegen, Krause und alle anderen DC-Führer, die an der Veranstaltung teilgenommen hatten, aus ihren kirchlichen Ämtern entlassen und ferner alle Pfarrer und Kirchenmitarbeiter erneut auf das ursprüngliche Amtsgelübde verpflichten. Da ihre Forderungen in der Folge von einer innerkirchlichen Protestwelle ohnegleichen bekräftigt wurde, ließ der Reichsbischof Krause fallen. Die »Deutschen Christen« verloren massenhaft Mitglieder.
Im Herbst 1933 gründete sich um Niemöller der Pfarrernotbund, der in wenigen Monaten bereits ca. 6000 Mitglieder zählte (bei 18 000 evangelischen Pfarrern im gesamten »Reich«). Sie kämpften für die Ordinationsrechte ihrer 29 Amtsbrüder jüdischer Herkunft. Wer aber kümmerte sich um die große Zahl jüdischer Christen, die heute nicht einmal mehr geschätzt werden kann? Und von denen Unzählige erst mit Hilfe der Kirchenbuchstellen durch die NS-Mörder ermittelt wurden.
Karsten Krampitz
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