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  • Politik
  • Opernregisseur Peter Konwitschny über Provokationen, Füße im Gras, etwas Göttliches und eine Wahrheit Richard Wagners

Macht und Geld - oder Liebe

  • Lesedauer: 11 Min.

Peter Konwitschny, Jg. 1945, wuchs in Leipzig auf. Der Sohn des Dirigenten Franz Konwitschny und der Sängerin Anni Eisner gehört zu den profiliertesten Regisseuren. Seme «Csärdäsfürstm» an der Semperoper geriet in die Schlagzeilen, weil Intendant Albrecht einige angeblich anstößige Szenen herausnahm. Konwitschny, ein Mann mit angenehm gegerbtem, offenem Gesicht und langem Zopfhaar, der jetzt Wagners «Götter dämmerung» in Stuttgart inszeniert, wohnt in Hamburg. Im Flur der kleinen Wohnung: ein großes Foto, die Stadt nach dem kriegerischen «Feuersturm» 1943. Ein hoffnungsvolles Bild, sagt Herr K. dem zunächst etwas erstaunten Gast. Ja, denn nach so etwas sei nichts Schlimmeres, sondern nur noch Anfang möglich.

? Peter Konwitschny, Sie erwägen wegen Ihrer Dresdner «Csärdäsfürstin» rechtliche Schritte. Sie wollen erwirken, dass entweder die szenische Kastration zurückgenommen oder Ihre Inszenierung abgesetzt wird. Intendanten sind von nun an gewarnt vor Ihnen - oder aber Ihr Marktwert, Gütesiegel: Provokateur, wächst.

Ich habe weder an das eine noch das andere gedacht. Ich fühle mich einfach ungerecht behandelt. Bis zur letzten Stunde der Arbeit vermutete niemand von der Leitung, dass sich aus der Inszenierung (er lacht) diese nationale Katastrophe entwickeln könnte.

? Sie erwarten, dass ein Intendant Ihre Arbeit schützt.

Ja. Man lernt ein Stück kennen, man verändert sich dabei, und auch das Stück verändert sich, wenn Berührung und Nähe stattfinden. Das ist ein Liebesverhältnis, und es tut weh, wenn diese Beziehung missverstanden wird. Eigentlich habe ich das Bedürfnis, mich zu verkriechen. Ich bin weniger wütend als vielmehr traurig.

? Aber sind Sie nun ein Provokateur?

Nein. Mir geht es darum, Zusammenhänge zu zeigen, in denen Vorgänge eines Stückes, Vorgänge zwischen Menschen, gewissermaßen eine Erdung erfahren, eine zwingende Verbindung zu gesellschaftlichen Vorgängen.

? Es heißt in Dresden, Zuschauer hätten sich verletzt gefühlt. Mit dem Entsetzen eines Krieges treibt man keinen Scherz.

Das ist richtig, und es ist zugleich falsch. Du sollst nicht töten - das ist ein Wert, den wir uns selbst setzten. Er wird ständig verletzt. Darf eine Operette, die im Kriegsjahr 1915 uraufgeführt wurde, daran vorbeigehen? Ich denke, entsetzliche Erfahrungen mit dem Bruch des obersten menschlichen Gebots müssen in einer permanenten öffentlichen Diskussion besprochen werden. Zum Beispiel im Theater. Alles Verbotene und jeder heuchlerische Konsens tragen nur dazu bei, ungute Bewusstseinsströme zu verfestigen. Sollen doch Zuschauer, die sich verletzt fühlen, mit denen streiten, die anders denken.

? Sie wollen aufstören.

Ich will die Leute im Publikum berühren. Dazu gehört auch, Verzweiflungen, Bitterkeiten des Lebens im Theater zu vergrößern. Ohne jede Milde. Über die Kunst kann so nämlich eine innere Gegenkraft entstehen, eine gesteigerte Sehnsucht nach dem Guten.

%Es wächst das Bedürfnis der Menschen, ins Theater zu gehen wie in einen Tempel, in dem man, wohlverdient, von kruder Realität unbehelligt bleibt.

Was Sie ansprechen, ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Der Mensch wird mehr und mehr auf den Konsumenten reduziert. Und was konsumiert wer den soll, muss schön, sauber, angenehm zu sehen und zu tragen sein.

? Sind Sie enttäuscht vom Menschen als geschichtlicher Kraft?

Ich hatte nie die eine große Hoffnung, und ich hatte nie die eine große Enttäuschung. Der Mensch als Masse ist kaum Vertrauen erweckend, aber mich interessieren die Aufbrüche einzelner. Ich mache Theater aus einer erheblichen Lebenslust, auch bei der Behandlung alles Schmerzlichen. Jeder Anfang macht doch Hoffnung. Aber er setzt freilich eine Zerstörung voraus, einen Schrecken, ein Scheitern.

? Kunst ist aber auch Ermutigung durch Schönheit und Harmonie.

Ja, aber wirkliche Kunst hat sich nie für den Plan hergegeben, Harmonie unendlich konservieren zu wollen. Nur politische Systeme streben das an, weil sie im Widerspruch die größte Gefahr sehen. Und weil man den Widerspruch nicht abschaffen kann, wird wenigstens versucht, seinen Stau in den Griff zu bekommen. Immer ist es diese moralische Euphorie, immer ist es diese Selbstzufriedenheit, diese freiwillige Blindheit gegenüber der Realität und dieses fatale Reinheitsgebot, was in die nächste Katastrophe führt.

? Es wächst heute die Zwanghaftigkeit, sich einzureden, es ginge einem ver gleichsweise gut, und man habe ein Recht, sich ins Gegebene einzurichten.

Das empfinde ich als einen Teil der gesellschaftlichen Restauration, die gegenwärtig stattfindet.

? Wie definieren Sie Restauration?

Vorsätzliche Abtötung aller verändernden Impulse. Aber es wächst zum Glück auch der Unmut darüber, diesen Brei der sozialen Verderbtheit demütig zu schlucken.

? Viele Menschen wollen mittels Kunst abschalten.

Das ist mir sowas von fremd! Bei den Griechen war das Theater das Hohe Fest, von den freien Bürgern wurden dort die Probleme der Gesellschaft diskutiert. Wir laufen längst Gefahr, diesen öffentlichen Raum zu verlieren und den Diskurs als politisches Korrektiv aufzugeben.

? Politisches Korrektiv für welche Vision? Richard Wagner sagt es explizit: Macht

und Geld - oder Liebe. Das ist die Alternative. Es gibt letztlich nichts dazwischen. Das ist Wagners wichtigster Gedanke, und für mich bleibt dieses Entweder-Oder der Urgrund all meiner Arbeit.

? Auf der Seite der Liebe. Natürlich.

? Auf der Seite also der Trauer und der Verqeblichkeit.

Die ich aber nicht anerkennen möchte. Das ist ein Impuls, jeden Morgen wieder aufzustehen.

? Sie lieben Richard Wagner.

Ein unglaublicher Mensch, dessen Leidenschaften in so viele Richtungen ausschlugen. Es gibt zum Beispiel erregende Texte gegen Tierversuche. Ein paar Jahre war er auch der Meinung, man müsse sich unbedingt vegetarisch ernähren. Eines Abends war Nietzsche bei ihm, sie haben ein gutes Gespräch gehabt, und da hat er zwei Steaks bestellt. Die Küche hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Ab diesem Tag war das mit dem Vegetarier vorbei. Das Größte finde ich ja,

dass er sagte, die Religion habe versagt,

und jetzt müsse die Kunst diese Rolle

übernehmen.

? Das ist alles so wunderbar obsessiv

und in seiner so überstark empfundenen

Hefe natürlich auch lächerlich.

Aber alles Lebendige besteht ja in der Einheit von Größe und gleichzeitiger Lächerlichkeit. Er war nicht in der Lage, sich irgendwo einen Palast zu kaufen und damit das Leid der anderen zu vergessen. Ich fühle mich dieser Haltung sehr ver bunden.

? Wie empfanden Sie den Zusammenbruch der DDR?

Da ist eine Alternative versucht worden, letztlich ging es um einen christlichen Gedanken: Es soll besser werden für alle. Diese Vorstellung, deren Verwirklichung wohl einfach zu früh über die Welt kam, ist in mir etwas sehr Verbindliches gewor den. Aber ich habe nie ein Theater gemacht, das sich auf hausgemachte Probleme der DDR reduzieren ließ, ich hatte immer mit einer anderen Dimension zu schaffen. Deshalb passierte mir nicht das, was einigen Künstlern nach dem Ende der DDR passierte oder vorher schon jenen, die das Land verlassen hatten: Ihnen ging plötzlich das Thema verloren.

? Worin besteht die Dimension, von der Sie eben sprachen?

Etwa darin, dass immer folgendes wiederkehrt: Man setzt sich für Veränderung ein, hofft auf das große neue Andere - und dann zeigt sich, dass die Dinge nur scheinbar anders werden. Die Privilegien werden umgeschichtet, man wird nicht wirklich glücklicher.

? Sie sind, so scheint es, nicht allzu geschickt für die Opern-Industrie. Haben Sie Angst vor Popularität?

Brecht schrieb: «Vom Abstieg der Weigel in den Ruhm». Gut, das zu kennen.

%In einem Interview sagten Sie, lange darum gekämpft zu haben, nur immer geliebt zu werden.

Es arbeitet sich nicht gut unter Leuten, die einen nicht haben wollen. Aber nur geliebt zu werden, darf nicht das Ziel sein, wenn man sich selber treu bleiben will.

? Die Gesellschaft vernutzt den Menschen, auch den Regisseur.

Er ist ein Wert mit Verfallsdatum. Manchmal bin ich sogar wütend, in diesen Beruf geraten zu sein. Es ist so schwer, in einer Quotengesellschaft Erfolg zu haben. Irgendwann wundert man sich, dass man trotzdem Erfolg hat - obwohl man doch wirklich etwas kann.

? Jetzt muss ich Ihnen natürlich Gelegenheit geben, kurz zu umreißen, was für Sie Gott sein könnte.

Ich denke, dass es etwas Absurdes hat, im Brustton der Überzeugung zu behaupten, man sei ohne jede Einschränkung Atheist. Insofern absurd, als wir Menschen halt ein bisschen mehr Gehirn haben als nötig wäre, um uns als Art zu er halten. Mit diesem Mehr an Denkmöglichkeiten kommen wir auf dumme Gedanken, nämlich zum Beispiel auf die Frage, warum wir überhaupt existieren. Da aber ein System sich nicht selbst erklären kann, brauchen wir sozusagen die metaphysische Dimension, und die ist Gott.

? Sozusagen als Gesprächspartner für all die Fragen, auf die wir auf Grund unseres Zuviels an Gehirn stoßen.

Ja, und in dem Zusammenhang ist Musik, die man ja wirklich nicht rational auflösen kann, göttlich. Sie teilt uns wesentliche Dinge mit, im Sinne eines nicht Definierbaren, Erklärbaren, aber dennoch Existenten, Glaubbaren.

? Leben wir in einer Endzeit?

Ja. Ich denke, dass eine große Zivilisation wie das Abendland vergleichbar ist mit Ägypten und Mesopotamien und anderen hochdifferenzierten Kulturen. Die hielten sich ein paar tausend Jahre und ver schwanden dann, trotz ihres hohen Entwicklungsstandes, auf Nimmerwiedersehen. Dieser restlose Untergang ist für mich ein ungeheuerlicher Vorgang, hinter dem eine Systematik steckt, von der wir nicht ausgenommen sind. Auch das Abendland ist als System übergroß, und es wird wohl so sein, dass auch wir einen Anfang haben und eben ein Ende.

? Es gibt Anzeichen fürs Ende?

Ja, viele. Zum Beispiel, dass es offensichtlich belangloser wird, welche Person sich in jeweiliger politischer Verantwor tung befindet. Es regiert der innere Zwang des Systems, sich um jeden Preis zu er halten. Dieser Erhaltungszwang ist wahr scheinlich längst größer als der Einfluss des Menschen auf eine Veränderung des Ganzen. Wir sitzen eigentlich schon wie Leichen, wir bewegen uns kaum. Ins Alltägliche übertragen: Das Glitzern der Sonne auf einem See, das Rauschen des Windes in den Zweigen - das ist ein gefährdeter Genuss. Wir gucken fern. Wir zappen uns durch die Realität, wir haben sie nicht mehr zum Greifen nah. Das ist das traurige Gefühl, mit dem ich lebe. Das ist ein Indiz für etwas, das zu Ende geht.

Wir wissen es alle, und es geht trotzdem so weiter. Wir lernen nicht.

? Es ist eine Illusion, man könne Erfahrungen so weitergeben, dass eine Wiederholung der großen, zerstörerischen Fehler unmöglich wird.

Sicher. Man stelle sich aber andererseits vor, Erfahrung könnte vollständig aufgenommen werden. Das ergäbe eine Har moniepyramide, die Tod bedeuten würde. Genau so fatal ist es andererseits, so zu tun, als gäbe es den Tod, das Ende über haupt nicht. Die Vorstellung etwa, die Profitschraube immer weiter drehen zu dürfen, negiert das natürliche Ende einer Entwicklung. Das ist Eliminierung von Widerspruch. Erst Katastrophen bringen dann irgendwann alles wieder ins Lot.

? Besonders die Oper kommt ohne Tod nicht aus.

Es ist schön, sich spielerisch mit dem Thema befassen zu dürfen. Persönlich freilich will ich mir nicht vorstellen, eines Tages nicht mehr dabei zu sein. Ich glaube, es ist sehr natürlich, dass sich das, was einmal ins Leben gerufen wurde, gegen das Verschwinden sperrt.

? Sie haben einmal von der Angst gesprochen, sich im laufenden Betrieb zu erschöpfen.

Wenn man nur immer im und vom Theater lebt, wird man irgendwann nur noch Theater reproduzieren. Das ist aber nicht der Sinn von Theater. Der liegt außerhalb des Theaters.

? Wie entgeht man der Erschöpfung?

Ich weiß es nicht. Es mag seltsam klingen, für mich ist es die Korrespondenz mit meiner biologischen Herkunft, mit der Er de, etwas ganz Wichtiges.

? Landleben.

Ich meine nicht die Flucht vor den Menschen in eine heile Welt, denn die Natur ist ja alles andere als eine heile Welt. Ich meine das Erleben ganz existenzieller, außer zivilisatorischer Empfindungen, die vom Körper ausgehen, nicht vom Kopf. Das war immer meine Sehnsucht. Und sie wird stärker. Wenn ich die Feuchte und Wärme der Erde spüre oder das Rauschen höre, wenn ein Schwan über mir wegfliegt - dann fühle ich mich als Teil eines größeren Ganzen. Das hat Folgen für mein Lebens- und Arbeitsgefühl.

? Stört Sie, dass Theater die vergänglichste aller Künste ist?

Das ist eine unglaubliche Qualität. Damit wird gewaltsam verhindert, Kunst im Sinne des Profites anzuhäufen, als etwas Festes und Ewiges.

Interview Hans-Dieter Schutt

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