»Ich habe die Sophie immer gewarnt ...«

Susanne Hirzel verteilte Flugblätter der »Weißen Rose« - und wurde denunziert

  • Peter Dietrich
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Immer wieder bekommt die 84-jährige Stuttgarterin Susanne Hirzel Besuch von Filmregisseurin Katrin Seybold. Diese arbeitet an einem Fernseh-Zweiteiler über die Widerstandsgruppe »Weiße Rose«. Susanne Hirzel war eine der Angeklagten beim zweiten »Weiße-Rose-Prozess« am 19. April 1943 in München. Sie hatte beim Verteilen des fünften Flugblattes mitgewirkt.

Die jüngst mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnete Kinoproduktion »Sophie Scholl - Die letzten Tage« findet Susanne Hirzels Zustimmung, ausdrücklich lobt sie deren Genauigkeit. Obwohl Sophie Scholl wegen eines Stimmbandfehlers leise und bedächtig gesprochen habe und Kriminalkommissar Robert Mohr eher ein schlanker und drahtiger Mann gewesen sei. Sie habe ihn bei den Verhören stets höflich und korrekt erlebt, obwohl er ganz und gar Nazi war. Über Sophie Scholl habe er geäußert: »Sie war zu bewundern. Sie war halt gegen den Nationalsozialismus.« Und zu Susanne Hirzel sagte Mohr: »Sie werden wohl davonkommen. Bei ihrem Bruder weiß das niemand.« Dass Susanne Hirzel zu vergleichsweise milder sechsmonatiger Haft, ihr Bruder Hans hingegen zu fünf Jahren verurteilt wurde, lag an ihrem mutigen und geschickten Verteidiger Dr. Eble. »Das war ein toller Mann«, sagt sie noch heute mit dankbarer Bewunderung. Er habe gewusst, wie er Richter Roland Freisler begegnen musste. Von Eble ermutigt, blieb Susanne Hirzel bei ihrer Argumentation, sie habe den Inhalt der vielen in Stuttgarter Briefkästen eingeworfenen Briefe nicht gekannt - eine Notlüge, denn sie wusste um den »hochverräterischen« Inhalt des Flugblattes: »Es hat mich hingerissen, war großartig formuliert.« Drei andere der 14 Angeklagten, Alexander Schmorell, Willi Graf und Professor Kurt Huber, wurden zum Tode verurteilt - wie zuvor Sophie und Hans Scholl. Wenige Tage nach Sophies Hinrichtung wurde Susanne Hirzel in deren ehemalige Zelle im Münchner Gestapogefängnis im Wittelsbacher Palais untergebracht. »Ich habe die Sophie immer gewarnt«, sagt sie traurig. Sie sei ihr oft zu unvorsichtig erschienen. Kennen gelernt hatten sich die Mädchen, die beide in Ulm aufwuchsen, über den Jungmädelbund, der Unterorganisation der Zehn- bis Vierzehnjährigen im Bund Deutscher Mädchen (BDM). Susanne, einziges Mädchen in einer Jungenklasse, war froh, dort mit anderen Mädchen zusammen zu sein. Die Pfarrerstochter schwärmte für die ältere Schwester von Sophie, Inge Scholl, suchte deshalb den Kontakt zur Familie. Sophie und Susanne waren viel gemeinsam unterwegs, Sophie oft bei den Hirzels zum Essen. Gemeinsam versuchten sie, durch einen sozialen Beruf im Kindergarten dem Arbeitsdienst zu entkommen. Von Sophies Bruder Hans hielt die junge Susanne Abstand: Er sei ein »sehr attraktiver junger Mann« gewesen, ihr jedoch zu leidenschaftlich und mit reichlichem »Frauenverbrauch«. Anfangs gegen den Willen seines Vaters Hitlerjugendführer, durfte der 17-jährige Hans als Fahnenträger zum Reichsparteitag nach Nürnberg. Von dort kam er enttäuscht zurück, hielt alles nur noch für Fassade. Von ihm beeinflusst, entwickelte sich auch Sophie zur entschiedenen Nazigegnerin. Als Hans Hirzel in München Hans Scholl aufsuchen wollte, geriet er in ein Treffen der »Weißen Rose« und bekam sogleich vertrauensvoll Geld für einen Vervielfältiger ausgehändigt. Er kaufte das Gerät, warf es jedoch dann aus Angst in die Donau. Im Januar 1943 kam Hans Hirzel mit einem Koffer voll Briefen nach Stuttgart. Heimlich hatten sie diese in der Ulmer Martin-Luther-Kirche eincouvertiert und beschriftet - an ihnen bekannte und aus dem Telefonbuch abgeschriebene Adressen. Hans bat nun seine Schwester um Hilfe beim Verteilen. Sie half. Als ihr Bruder dann von zwei HJ-Kameraden verraten wurde, flog auch sie auf. »Überall ist denunziert worden«, erinnert sich Susanne Hirzel. Und bekräftigt: »Wenn man weiß, wie die Gedankenwelt damals war, waren diese Flugblätter eine enorme Leistung.« Man könne stolz darauf sein, dass die Studenten den Widerstand versuchten. Susanne Hirzel verweist auf Sophies starke religiöse Motivation: »Sie war die Frömmere von uns«, so die Pfarrerstochter. Zwei Bücher hat Susanne Hirzel veröffentlicht: 1959, kurz bevor sie nach 13 Jahren in der Schweiz wieder nach Stuttgart zog, ist von der erfolgreichen Musiklehrerin ein »Cellolehrgang« erschienen, der noch heute gekauft wird. Später wollte sie Vorurteilen und Verdrehungen ihre eigenen Erlebnisse in der Nazizeit entgegensetzen. Drei Jahre arbeitete sie an ihrem Buch »Vom Ja zum Nein« über ihre Jugend...

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