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  • Politik
  • Start zum Award f6 Nachwuchswettbewerb

Musik in blauem Dunst

  • Christine Wagner
  • Lesedauer: 4 Min.

Vieles, was mit der DDR für immer verschwunden schien, erlebt nun im vereinigten Deutschland seine Reinkarnation. Zum Beispiel die Förderung von Nachwuchsbands. Einst organisierten Kreis- und Bezirkskabinette Leistungsvergleiche, um ausgewählte Bands zu der alle zwei Jahre stattfindenden Zentralen Leistungsschau der Amateurorchester zu senden. Dafür war das Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR zuständig. Der Zentralrat der FDJ lud zur Werkstattwoche der Jugendtanzmusik nach Suhl und das Komitee für Unterhaltungskunst Solisten und Duos zum «Goldenen Rathausmann» nach Dresden. So viel Staat wacht heute nicht mehr schützend-bevormundend über den jungen Talenten, die sich jetzt Newcomer nennen. Für ihn ist in den neuen Bundesländern die alte Ost-Zigarettenmarke fo in die Bresche gesprungen. Politische Sprüche fanden ihr Pendant in marktwirtschaftlichen Slogans. «Geschmack verbindet» meint die von Philipp Morris erworbene f6 und verband sichvor drei Jahren bei der Suche nach neuen Käufern mit dem kaum taufrischeren Musiklabel Amiga, das die BMG kaufte. In beiderseitigem Existenzinteresse erfanden sie mit dem f6 Music Award den einzigen Nachwuchswettbewerb für neue Bands aus Ostdeutschland. Wie einst in regionalen Vorausscheiden entscheidet eine Jury über Delegierte zum zentralen Finale - und dort über die Sieger. Statt FDJ-Förderverträgen warten ein Major Plattenvertrag, Demo- und CD-Produktionen und professionelle Unterstützung auf die Sieger. Frei von Interessen werden die freilich kaum gekürt. Für ein wirtschaftliches Unternehmen wie die BMG muss der Marktwert einer Band mehr Gewicht haben als ihr künstlerischer. Der erste Wettbewerb, zu dem sich 669 Bands aus dem Osten beworben hatten, endete mit einem Eklat. Das Publikum, das im Mai 97 zum Finale in die Berliner Kulturbrauerei gekommen war, kommentierte die Entscheidung mit lautstarken und anhaltenden «Schieber! »-Rufen. Die Jury hatte sich für die Leipziger Band Everlasting entschieden, die mit ihrem schon irgendwo mal gehörten Elektro-Pop hörbar ins Konzept der BMG passte. Das Publikum aber sah die Magdeburger Band Scycs mit ihrer energiegeladenen Show und zeitgeistiger Rockmusik mit Elementen aus Pop und Jungle vorn. Die Jury muss ihre Entscheidung bereut haben, denn Everlasting löste sich trotz BMG-Album, trotz TV und Vorgruppe von Ramazotti und Maffay auf. Und MTV entdeckte Scycs. Die Band schaffte es inzwischen bis auf Platz 14 der Charts, produzierte bei WEA und erhielt im Rahmen der Popkomm den VIVA Comet als beste Nachwuchsband Deutschlands.

Die Veranstalter lernten daraus: Sie or ganisierten den Wettbewerb nicht nur perfekter und gewannen neben den Bands

707 Bewerbungen - deren Zielgruppe als Publikum. Viele Fans erhielten keine Karte mehr für das Finale im Juni ‹99 denn der Tränenpalast war lange vorher ausverkauft. Die im Saal aber feierten die Siegerband Ultra Violett mit ihrer Mischung aus Drum n›Bass, House und TripHop euphorisch bis früh um vier. Wohl vor allem dank der liebenswerten Ausstrahlung der pink-violetthaarigen Sängerin Sandra Baschin mit ihrer modulationsreichen Stimme. Mittlerweile spielte Ultra Violett je einen Song zu den Kinofilmen «Helden wie wir» und «Grüne Wüste» ein.

Jetzt startete im feinem Ambiente des neu eröffneten Sodaclubs auf dem Gelände der Berliner Kulturbrauerei die dritte Auflage des f6 Music Awards. Und wieder will er noch ein Stück perfekter sein. Zwar ist immer noch der 70-jährige Senior Fritz Rau Vorsitzender der Jury, der wie in den Jahren zuvor bei der Eröffnung mit wild gestikulierenden Händen den Staat anklagt: «Wir sind dem freien Markt über lassen.» Und auch der betagte Professor Hay von der Deutschen Phonoakademie, der den Maßstab für Erfolg an der selten innovativen «Echo»-Bühne ansetzt, erinnert den unsichtbaren starken Vater im Laftd an seine «gesetzlich verankerte Pflicht». Doch zu ernst scheint das wohl nicht gemeint, denn zu Unterstützern des Newcomerwettbewerbs haben sich neben BMG und f6 mit Bell, Shure, MTV und Steinberg weitere Wirtschaftsunternehmen gesellt. Wohl kaum ohne eigene Interessen: Steinberg als führender Anbieter von Musiksoftware führt von den Veranstaltern als Sonderpreis deklariert einen Workshop für die an den regionalen Vor ausausscheiden teilgenommenen Bands durch. Um die Software Cubase bekannt zu machen.

«Der f6 Music Award ist für jede Band eine Inspiration, zum Instrument zu greifen und zu musizieren», muntert Konzertveranstalter Rau auf. Deshalb werden nun wieder fleißig die Kassetten von Bands und Solisten ab 18 Jahren aus Neufünfland mit drei live eingespielten Eigenkompositionen samt Titelliste und Kurz porträt bis zum 17 Juni in der Dresdner Zigarettenfabrik eintrudeln. Eine rund 20- köpfige Jury, zu der u.a. Vertreter von Citv, Die Ärzte, Turbobeat, Rosenstolz sowie Produzenten und Medienmenschen gehören, wird Nächte damit verbringen, sie zu hören. Und die ihrer Meinung nach talentiertesten Musiker zu den Regionalausscheiden einladen. Zum Finale trifft sich die musizierende Jugend dann am 4. November im Berliner Kesselhaus.

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