Kränze für einen Krieger

Am Grab eines hoch dekorierten Hitler-Piloten gibt sich die Bundeswehr die Ehre

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Der peitschende Regen hat gerade aufgehört. Die zwei alten Herren verneigen sich in den gestrigen Morgenstunden kurz an der Marmorplatte, um dann schnell in Richtung Ausgang zu ziehen. Das Grab auf dem Invalidenfriedhof in der Berliner Scharnhorststraße hat frische Kränze bekommen: Die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger gedenkt ihres teuren Kameraden. Das Jagdgeschwader 74 der Bundesluftwaffe erweist mit einem Kranz dem Namenspatron die letzte Ehre. Die Gemeinschaft der Jagdflieger ist mit einem Kranz zur Stelle. Auch der Weg eines einzelnen Herren führt zum Stein des einstigen Nazi-Obristen Werner Mölders. Jedes Jahr komme er hierher, um einen Kameraden zu ehren, sagt er. Die Deutschen hätten keine Ehre mehr im Leib. Die Ostberliner würden in Treptow der Russen gedenken und im Westen habe man nur die Amerikaner im Kopf. Die Deutschen sollten sich ihrer eigenen Helden besinnen. Werner Mölders sei einer gewesen. Der Invalidenfriedhof ist dieser Tage zu einem Wallfahrtsort älterer Männer geworden. Seit dem 24. Oktober schmücken Blumen das Grab. Auch das Nachbargrab hat einen Kranz von den alten Kameraden bekommen. Hier ruht der Fliegergeneral Ernst Udet, der sich am 17. November 1941 das Leben nahm. Zu seiner Beerdigung erhielt Fliegeroberst Werner Mölders die Order, nach Berlin zu kommen. Vor 60 Jahren, am 22. November 1941 stürzte Mölders mit einem Flugzeug in der Nähe von Breslau auf dem Weg nach Berlin ab. Zu diesem Zeitpunkt war er 28 Jahre alt. Fünf Monate zuvor, am 16. Juli 1941, war er für seinen 101. »Luftsieg« vom »Führer« mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit Schwertern und Brillanten dekoriert worden. Weitere 13 Abschüsse sollten noch folgen. Er traf genau, seine Gegner hatten keine Chance, wusste die Nazipropaganda zu berichten. Mölders wurde als Kriegsheld gefeiert, wurde zum Idol einer verblendeten Jugend. Er war ihr Vorbild, bevor die Halbwüchsigen mit der Panzerfaust in der Hand den Heldentod starben. Das Töten hatte der begeisterte Pilot schnell gelernt. Als Hitler 1938 die »Legion Condor« dem putschenden Faschistengeneral Franco zur Seite stellte, um die republikanische Regierung zu stürzen, war Jagdflieger Mölders sofort zur Stelle. Die Mordfabrik »Legion Condor« ist für immer verbunden mit Kriegsverbrechen an der spanischen Stadt Guernica, die von deutschen Piloten in Schutt und Asche gelegt wurde. Als »erfolgreichster deutscher Jagdflieger« kehrte er von dort zurück, heißt es in den offiziellen Biografien. Als die Nazis die Sowjetunion überfielen, war auch Mölders mit seinem Jagdgeschwader von der ersten Stunde an dabei, brachte es wegen seines Talents zum Abschießen schnell zum Obersten und zum Inspekteur der Jagdflieger. Die Nazidiktatur ging unter, doch der Mythos Mölders wird in der Bundesrepublik bis zum heutigen Tage gehegt und gepflegt. »Das Wirken der Legion Condor in Spanien muss der bundesrepublikanischen Jugend als Vorbild dienen«, erklärte der einstige Nazi-Oberst und spätere Bundeswehr-General Johannes Trautloft schon 1956. In einer Studie des Bundeswehr-Führungsstabes aus dem Jahre 1964 heißt es: »Mit der Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg konnte die Wehrmacht Ruhm an ihre Fahnen heften, sich mit dem Siegeslorbeer schmücken und die Überlegenheit deutscher Waffen und deutschen Kriegsmaterials beweisen.« Und zu Mölders heißt es im nazistischen »Deutschen Soldaten-Jahrbuch« von 1963: »Werner Mölders war einer der Edelsten unserer Nation, ein Kämpfer und Flieger, der adlergleich durch den Himmel stürmte und selbst noch im Absturz Sieger blieb in unseren Herzen.« Als der Antifaschist Josef Angenfort 1993 in einem Schreiben an den damaligen Verteidigungsminister Rühe (CDU) anregte, bei der Traditionspflege innerhalb der Bundeswehr auf Frauen und Männer des antifaschistischen Widerstandes zurückzugreifen, erhielt er aus dem Ministerium von einem Herrn Schwarz eine rüde Ablehnung: Bei der Traditionspflege der Bundeswehr würden den Soldaten erfolgreich die Grundwerte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vermittelt. »Einer Unterstützung gerade durch Ihre Organisation bedarf es nicht.« So hält man sich lieber an die Kriegshelden der Nazizeit - bis heute. Und das Töten aus der Luft ist wieder in Mode gekommen. Wieder treten zur Mittagsstunde drei alte Herren an die Marmorplatte, um militärische Haltung einzunehmen. »Er hat für Deutschland mehr getan, als irgendein anderer, der heute über ihn herzieht«, erklärt ein etwa 80-Jähriger. Verbitterung ist ihm anzumerken. »Wer weiß heute noch, was Ehre und Anstand sind?« Der Mann gibt sich als ehemaliger Jagdflieger zu erkennen. Ihre Leistungen von einst würden heute nicht mehr anerkannt und die Bundeswehr werde von Rot-Grün verraten. Mölders würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das heutige Trauerspiel um den Bundeswehreinsatz erleben würde. Ein kräftiger Novemberschauer naht, die Herren treten den Rückzug an. Für ein Jahr wird es w...

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