Die Stille nach dem Sturz
Das Paar Totmianina/Marinin bezaubert, Zhang/Zhang verwundern
Eiskunstlauf bleibt Theater, Drama auf großer Bühne. Nur viereinhalb Minuten dauert eine Kür, doch das können Ewigkeiten sein. Hier entstehen Mythen in Sekunden.
Es war spät geworden am Montagabend in Turin. Die Kür der Paare sollte zu Ende gehen. Die 21-jährige Chinesin Zhang Dan war mit ihrem ein Jahr älteren Partner Zhang Hao auf das Eis des Palazzo Palavela von Turin gelaufen. Alles schien entschieden. Vor dem chinesischen Paar aus Harbin im Norden Chinas hatten die russischen Doppel-Weltmeister Tatjana Totmianina und Maxim Marinin eine beeindruckend perfekte Kür gezeigt. So traumwandlerisch synchron waren sie gelaufen, so nah beieinander gesprungen. Gold schienden Russen mit 204,48 Punkten nicht mehr zu nehmen.
Schon nach dem Kurzprogramm hatte der Vorsprung von Tot-mianina/Marinin auf Zhang/Zhang fast 15 Punkte betragen. Für die Chinesen - fälschlicherweise als Geschwisterpaar bezeichnet - gab es nur eine minimale Chance. Die bestand in den Unwägbarkeiten des neuen Wertungssystems und im großen Wagnis: dem vierfachen Wurfsalchow.
Sie riskierten den Sprung, der noch nie in einem Wettkampf gezeigt wurde. Gleich zu Beginn der Kür nahmen sie Anlauf, Hao schleuderte Dan in die Luft, Dan wirbelte um die eigene Achse und - stürzte schrecklich. Sie krachte im Spagat aufs Eis. Erstaunt blickend rutschte sie rücklings gegen die Bande, dann glitt sie aufs Eis.
»Ich dachte nur, dass ist jetzt das Ende«, sagte Dan später. Es wurde still in der Halle, ganz still. 6046 Zuschauer sahen schweigend zu, wie Hao seiner Partnerin auf die Beine half. Gebeugt rutschten sie über das Eis. Wo blieben nur die Sanitäter, ein Arzt? Niemand kam, Hao redete immer wieder auf seine kleine Partnerin ein - das Reglement erlaubt eine Fortsetzung der Kür nach dem Sturz.
Irgendwann streckte Dan das verletzte Knie und lief mit gesenktem Blick aufs Eis: Weiter! »Mein Kopf war leer«, so beschrieb Zhang Hao es nach dem Lauf. »Ich wusste nicht mal, an welcher Stelle wir wieder ansetzten sollten.« Doch die Musik half: Als sie einsetzte, war alles wieder da. Die beiden liefen einfach. Dan sprang mit letzter Kraft, Hao feuerte sie an, nicht alle Pirouetten gelangen synchron, aber die schafften es ohne weiteren Sturz bis zum Ende. Die Zuschauer jubelten, während Dan in der Tränenecke bei Trainer Yao Bin weinte. »Es tat weh, aber ich konnte doch nicht bei Olympia aufgeben«, sagte sie. Es gab ein glückliches Ende für die beiden. Die Wertungsrichter zeigten sich ungewohnt großmütig und gaben ihnen 125,01 Punkte, was sogar persönlicher Bestwert bedeutete. Mit insgesamt 189,73 Zählern reichte es für Silber.
Tatjana Totmianina und Maxim Marinin verkündeten nach dem Sieg das Ende ihrer Karriere. Sie gehen als die großen Stilisten in die Eiskunstlauf-Geschichte ein, Zhang Dan und Zhang Hao als die unbeirrbaren Zweiten.
Dass Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy aus Chemnitz Sechste wurden, wird wohl allein den deutschen Fans im Gedächtnis bleiben.
Bei der Siegerehrung gab Tatjana Totmianina der jungen Chinesin nur kurz die Hand. Stürze können ihr Mitleid nur bedingt wecken. Die Russin, 2004 beim Skate America schwer gestürzt, zeigte sich wütend auf die chinesischen Konkurrenten. Nach Zhang Dans Sturz befragt, sagte sie nur: »Ich habe nichts besonderes dabei gefühlt. Die beiden waren so aggressiv bei der Erwärmung, dass wir uns nicht richtig aufwärmen konn...
Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.