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  • Politik
  • Gina Pietsch. Hommage an Helene Weigel

Stein. Weich

  • Arna Vogel
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Ausflug ins malerische Buckow, eine gute Stunde östlich von Berlin zwischen den Seen, Parks und Wäldern der Märkischen Schweiz gelegen, verwandelte sich unversehens - zu einem Ausflug in die Vergangenheit, die uns immer noch, aber fast nicht mehr, anhaftet; zurück zu den Kämpfen des 20. Jahrhun^‹ derts, die damals so hoffnungsvoll, dann so vergeblich ausgetragen wurden. Der Kampf der Schwachen gegen die Mächtigen, die Überzeugung von der Veränder barkeit der Welt zum Nutzen dieser Schwachen - dies wird von einer Stimme transportiert, viel gerühmt und besungen: sie mache «Steine erbeben», bringe «er frorene Blumen wieder zum Blühen», in ihr wären «die Farben aller Regenbögen wie die Jubel aller Liebesekstasen». So überschlugen sich die Kritiker damals.

Mit jedem Jahr fortschreitender Technisierung und Entsinnlichung unserer Kultur scheinen die Kunst solcher Modulationsfähigkeit wie auch die Überzeugungen, die darin ihren Ausdruck finden sollten, unerreichbarer zu werden. Aber in gleichem Maße trifft sie uns erschütternder und überraschender. Wagemutig muss es also erscheinen, wenn sich heute eine Sängerin prononciert die Texte und Lieder auswählt, die so unverwechselbar von derjenigen bekannt sind, für die sie einst von Brecht und seinen Komponisten maßgeschneidert wurden: Helene Weigel.

Gina Pietsch hat sich davon nicht abschrecken lassen, und das ist gut so. Die ausgewiesene Brecht-Interpretin -zuletzt eine CD mit «Liedern zur Klampfe» - hat in ihrem neuesten Programm eine Art musikalische Biografie der «grande dame des epischen Theaters» zusammengestellt. Höllenlili / Pelagea Wlassowa /Courage - mit den Figuren, die die Weigel ver körperte, verbindet Gina Pietsch leicht und heiter Anekdoten, Zitate und Klatsch. Mit ihrer Auswahl versucht sie den Spannungsraum auszuschreiten, der zwischen den von Brecht stammenden Charakterisierungen «das gute Gesicht» auf der einen Seite und «unbeliebt» andererseits vorstellbar ist. So wechselt die Interpretin von Brünhildeschem Kampfesmut (Lied der Courage) zum Zerbrechlich-Zarten (Wiegenlieder), gibt mal die Göre, mal die Hexe, mal die Mütterlich-Warme.

Gina Pietsch erliegt bei alledem nicht dem Versuch, die Weigel («eines der größten dramatischen Genies, die jemals geboren wurden») zu imitieren, sondern findet immer ihre eigenen Mittel, oft mitreißend expressiv bis hin zum Jazzigen. Doch das Besondere sind gerade die feinen Töne dieser starken Frau. Ihre Inter pretationen sind da am unverwechselbarsten, wo sie scheinbar nichts macht, scheinbar völlig hinter den Text und die Komposition zurücktritt («Wiegenlieder», «Wie oft du auch den Fluss»). Dann sind wir gebeutelt zwischen Erkenntnis, Bewunderung und Schmerz. Und haben trotzdem das eigenartige Empfinden: Kopf und Seele sind nun wieder an den rechten Fleck gerückt.

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